Zum Tod von Walter Dahn: Der Ungesehene
Ein Nachruf des Weggefährten und Kunstkritikers Sebastian C. Strenger auf Walter Dahn
Nur 70 Jahre alt wurde Walter Dahn, der Ungesehene. Sein Einfluss auf die Kunstwelt war groß, Generationen von Studierenden der Kunst wie beispielsweise Gerd und Uwe Tobias hat er geprägt. Am vergangenen Wochenende verstarb der Meisterschüler von Joseph Beuys, der zuletzt an der Hochschule der Bildende Künste in Braunschweig lehrte.
Von 1979 an war er drei Jahre lang bedeutendes Mitglied der Kölner Künstlergemeinschaft Mülheimer Freiheit und damit ein ebenso wichtiger Protagonist der Neuen Wilden. Seine expressive, spontane Malerei Anfang der 1980er Jahre in Köln führte ihn zur Teilnahme an der documenta 1982. Der Einfluss seines Meisters Joseph Beuys war unverkennbar. Mit nur 17 Jahren kam er als als jüngster Student in die Beuys-Klasse. Nach acht Jahren schloss er sein Studium als Meisterschüler ab. Danach verbrachte er nachts viel Zeit in Düsseldorfs Ratinger Hof, der die versammelte Kunstszene unter der Führung von Carmen Knoebel zusammenbrachte und von Imi Knoebel neu gestaltet worden war. Neben Beuys wurde der Künstler Sigmar Polke zu einer wichtige Lehrerfigur für Dahn. In dessen Hof in Willich in den 70er Jahren er Dauergast wurde, neben vielen anderen Künstler*innen.
Dahn schuf ein ebenso vielschichtiges Werk im Spannungsfeld zwischen Kunst, Musik und Popkultur, wie seine Lehrer. Dabei war seine lebenslange Begeisterung für Musik und künstlerische Arbeit mit Zitaten aus Songs schon in seinem Frühwerk immer auch greifbar. Stilistisch sprachen Kunsthistoriker allerdings auch schon mal bei Franz West, Walter Dahn und Georg Herold von einem Dreigestirn für ein „künstlerisches Gruselkabinett“. Warum? Dahns Arbeiten faszinierten immer schon, weil sie immer auch als ausdrucksstark, emotional und spontan gegolten haben – fernab jeder abseitigen Realität vom Figurativen. Etwa so wie in humorvollen bis unheimlichen Werken seiner Verbündeten und Künstlerfreund*innen Martin Kippenberger, Rosemarie Trockel, Louise Bourgeois, Mike Kelley, aber auch bei Günther Förg, der aus seiner Heimat kam. Dort, wo er ein Viertel Jahr vor dem „Wunder von Bern“ in St. Tönis bei Krefeld am 8. Oktober 1954 geboren wurde.
Sein Leben war bestimmt von der Sinnsuche in einer Welt aus Widersprüchen. Letztlich wohnte seiner Kunst ein anarchischer Geist inne, mit dem der Neo-Expressionist, wie die Neuen Wilden auch genannt wurden, sich inhaltlich und methodisch, ebenso wie er sich der intellektuellen Avantgarde und etablierten Kunst von jeher widersetzte. Um Dahn zu verstehen, besuchte ich mit ihm 1997 im Stedelijk Museum seine Amsterdamer Ausstellung Another Time Another Place. Für mich wurde sie zum Schlüssel für den Zugang in sein Werk. Aber auch für ihn wurde seine künstlerische Weiterarbeit nach dieser bedeutenden Ausstellung, in der er die Frage nach den Inhalten der Kunst stellte, eine immer währende tiefe Reflexion. Vor rund 10 Jahren fasste den Status Quo seiner Arbeit aus vier Dekaden Marietta Franke einmal ganz schön unter «Preparing for the Future» in einem kleinen Büchlein zusammen. Wie das Werk Dahns wurde es eine Weltbeschreibung, die das konzeptuelle Potential und die künstlerische Haltung auf den Punkt bringt. Und dabei beschränkte sie sich nicht nur darauf, über 1979 zu reden, als Dahn mit Jiři Dokoupil, Peter Bömmels und weiteren Künstler*innen an der Straße Mülheimer Freiheit eine Ateliergemeinschaft aus Zufallsbekanntschaften gründete, von denen deren Galerist Paul Maenz diese Werke als Öl-Punk labelte. Es war so viel mehr. Nach der Jahrtausendwende vor allem übermalte Dahn im Geiste Polkes Siebdrucke mit Covermotiven von The Smiths, den Kinks und Primal Scream, die alle auf Elvis verweisen, an dessen Grab auf Graceland im amerikanischen Memphis, wie er mir erzählte, er hemmungslos losgeheult habe.
Er war ein Mensch, manchmal nah am Wasser gebaut, immer auch ruhig und schweigsam. In seinem oft schwarzen Hoody aber auch eine Figur, die wert darauf legte nicht aufzufallen. Anders also, als noch vor knapp 50 Jahren, als es in seinen Anfängen kaum lauter, schriller und trashiger sein konnte. Ebenso leise war jetzt sein Abgang, der viele Begegnungen unerzählt zurück lässt, wie seine Begegnungen mit Andy Warhol, aber auch Jean-Michel Basquiat, Anselm Kiefer und Imi Knoebel. Seine familiäre Verbundenheit zu der Galeristin Monika Sprüth, aber auch Freundschaften, die er regelmäßig mit George Condo und Richard Prince pflegte. Er hätte sicher noch soviel zu erzählen gehabt.
Dazu in Band 260 erschienen: