Zum Tod des Malers, Zeichners und Radierers Gerd van Dülmen

20. Juli 2023 · Personalien

Freiraum zu haben, Neues zu entwickeln, die bisherigen, durchaus mit Bravour gemeisterten Wege zu verlassen und unabhängig von den Erwartungen des Marktes arbeiten zu können – das waren wesentliche Gründe für Gerd van Dülmen, 1974 einen Ruf an die Kunstakademie Karlsruhe anzunehmen. Er hatte dort zuvor als Gastdozent unterrichtet – erstmals 1971, wenige Jahre nachdem er sein Studium als Meisterschüler von Hann Trier an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) in (West)Berlin beendet hatte. Und: Er hatte sich bereits als Zeichner und Radierer einen Namen gemacht.

Die Arbeiten, mit denen van Dülmen ab den späten 1960er-Jahren erhöhte Beachtung findet, sind geprägt von einem chirurgischen Blick, der die Wirklichkeit wie mit dem Skalpell seziert. Er entwirft technoid überformte anthropomorphe Gebilde, modelliert mit dem Stift wohlproportionierte Torsi, die eine bedrängende Synthese eingehen mit elegant geschwungenen Apparaturen oder Retorten. Erhebt die Renaissance den Menschen zum Idealmaß, fasst Leonardo den Menschen in Kreis und Quadrat, um ihn damit ins Zentrum einer geordneten Welt zu stellen, so zeigt van Dülmen Hybride aus coolem Design und gestähltem Körperfragment. Nie wird der Mensch in seiner Gänze, als komplette, integrale Figur dargestellt.

Van Dülmen ist Mitte 30, als er seine Karlsruher Professur übernimmt. Am 25. Oktober 1939 in Cloppenburg geboren, hatte er sich früh für Kunst interessiert. Nach den ersten Semestern an der HfbK waren er und Max Kaminsiki für weit über ein Jahr mit wenig Geld, aber viel Einfallsreichtum durch Lateinamerika gereist; die Freundschaft mit dem angehenden Maler, den er noch aus Gymnasialzeiten kannte, sollte bis zu dessen Tod 2019 halten. Zeitweise waren die beiden später Kollegen an der Karlsruher Akademie. Sie wird der Ort, an dem sich van Dülmen wieder vermehrt der Malerei zuwendet. Der Bezug zum menschlichen Körper bleibt in den Gemälden, die nun entstehen, zunächst erhalten. Dabei folgt van Dülmen dem Grundsatz: Der Zufall wird genutzt, aber es wird ihm nichts überlassen. Dieses Prinzip gilt dann auch für jene Werkgruppen, in denen der Künstler ganz auf Reduktion setzt. Anlass sind oft Seheindrücke: eine Wand, eine Allee, vielleicht auch ein Flugzeuggeschwader – entscheidend jedoch ist schließlich das mitunter herbe, jede bloß gefällige Harmonisierung ausschließende Zusammenwirken von Form und Farbe.

Mit dem Ende seiner Karlsruher Professur, zieht Gerd van Dülmen 2005 nach Berlin, wo er auch während seiner Akademiezeit einen Wohnsitz und ein Atelier unterhalten hatte. Seiner Produktivität tut der Wechsel keinen Abbruch. Weiterhin entstehen große Werke, die van Dülmen mit Eitempera malt, einer Emulsion, die kristallin aushärtet und dadurch einen eigenen, seidigen Schimmer erhält. Zugleich entspricht sie der durchdachten und überlegten Vorgehensweise des Malers, die wiederum mit seinem Interesse an Literatur korrespondiert. Belesen wie van Dülmen war, fanden denn auch Reflexionen über Samuel Becket oder Friedrich Hölderlin, zu Herman Melville oder Michel de Montaigne vielfach indirekten Niederschlag in seinen, aus einer ernsthaften humanistischen Haltung heraus geschaffenen Malereien.

Als mit den Jahren die Kräfte nachlassen, werden die Formate kleiner, nicht aber die Lust und der Elan, Bilder zu gestalten. Van Dülmen experimentiert mit Silberlack, findet zu höchst inspirierten grafischen Umsetzungen von Landschaftsimpressionen, folgt der Ausdruckskraft einzelner, kontrollierter Pinselgesten. Am 24. Juni 2023 ist Gerd van Dülmen im Alter von 83 Jahren gestorben. Er hinterlässt ein ebenso umfangreiches wie eindrucksvolles Œuvre, von dem zu hoffen bleibt, dass es eines Tages mit einer großen institutionellen Ausstellung in seiner Einzigartigkeit gewürdigt wird.

Die Trauerfeier mit anschließender Beerdigung findet am Freitag, 21. Juli um10 Uhr auf dem Waldfriedhof Berlin-Dahlem statt.

Michael Hübl


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