Wandel der Textilkultur

1. Juni 2016 · Aktionen & Projekte

Der griechische Bergort Ambelakia am Hang des Ossa wirkt heute etwas verschlafen, doch vor 200 Jahren praktizierten hier die damals 6.000 Einwohner ein erfolgreiches Modell einer Genossenschaft von Handwerkern, Bauern und Kaufleuten. Der französische Diplomat Felix de Beaujour begeisterte sich 1793 über den Ort und seine wirtschaftliche Prosperität: „Dieses Städtchen verbreitet durch seinen Gewerbefleiß Bewegung und Leben über die Region hinaus und erzeugt einen unermesslichen Handel, der durch tausend Fäden Deutschland mit Griechenland verbindet… diese ganze Bevölkerung lebt von der Färberei, wie ein Bienenschwarm in seinem Stock…“ Der Stuttgarter Künstler Ulrich Bernhard, 1982 Mit-Begründer des „ABR-Archivs beider Richtungen“ als „ambulante Einrichtung im Grenzbereich zwischen freier und angewandter Kunst“, schreibt über diese Genossenschaft: „Diese ‘Utopie” einer freien und gerechten Wirtschaft handelt nach außen wie eine erzkapitalistische Handelskompanie, innen leistet sie sich dagegen fast ein demokratisch-sozialistisches Modell.“ Im Kunstverein Nürtingen hält Bernhard darüber am 23. Juni 2016 einen Vortrag, als Einführung in die Ausstellung „TextilZeit“ mit Beiträgen von Magda Korsinsky, Nicolai Rapp, Peter Schmidt, Stef Stagel, Ilse Rose Stetter, Anita Stöhr Weber, Susanna Taras und Stefan Woike, in denen der historische Wandel der textilen Industriekultur reflektiert wird: bis 1802 erlebte der Ort eine wirtschaftliche Blütezeit, das begehrte Gran aus Ambelakia war auf allen europäischen Märkten zu finden. Dann wurde die britische Konkurrenz im Textilhandel zu übermächtig, eine europaweite Wirtschaftskrise bringt den Handel mit Garn und Tuch alsdann 1805 fast völlig zum Erliegen; Österreich droht sogar der Staatsbankrott. Bürgerkriegsähnliche Aufstände gegen die türkische Oberhoheit und eine Choleraepidemie in Griechenland führten schließlich zu einem endgültigen Niedergang der Textilkultur von Ambelakia. Große industrielle Baumwollspinnereien in England und Deutschland, die mit Dampfkraft angetrieben werden, machen nun bis weit ins 20. Jh. das Geschäft. Doch auch dort ist mit dem Ende des Industriezeitalters und der Gloabalisierung der Wirtschaft der Niedergang unaufhaltsam: Zentrum der globalen Textilindustrie sind heute Indien, Pakistan und China. Die Ausstellung im Kunstverein Nürtingen läuft bis zum 3. Juli 2016. www.kunstverein-nuertingen.de


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