Streit um Kunstzensur

10. November 2017 · Hochschulen

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, kritisierte die Zensur-Vorfälle an zwei deutschen Hochschulen: „Hochschulen sind öffentliche Räume und selbstverständlich gilt in ihnen die grundgesetzlich verbriefte Kunstfreiheit“. An der Georg-August Universität Göttingen veranlassten das Studentenwerk und die an einer Ausstellung beteiligten Künstler die Abhängung von 45 satirischen Werken. Einige Exponate wurden als sexistisch oder antisemitisch beurteilt. „Selbstzensur in Göttingen?“ titelte NDR.de. Pikant daran ist: ausgerechnet die Georg-August Universität Göttingen hat als eine Besonderheit ihrer Verfassung die „im Gründungsprivileg vom 7. Dezember 1736 erstmals festgeschriebene Zensurfreiheit“. Die von der Jüdischen Gemeinde Göttingen beanstandete Karikatur der Künstlerin Ulrike Martens zeigt Albert Einstein mit herausgestreckter Zunge und Schweineohren. Der Studentenwerks-Geschäftsführer Jörg Magull bestreitet antisemitische Absichten, denn die Karikatur habe doch nicht den Juden Albert Einstein darstellen wollen, sondern den „Menschen mit seinem Wortwitz und Humor“, räumte zugleich jedoch ein: „Wir haben aber nicht im Blick gehabt, dass dieser Eindruck durch das Bild entstehen könnte“. Der prüde ASTA und andere Studentengruppen wiederum störten sich an Motiven mit Brust-Dékolleté und entblößtem Gesäß in Zeichnungen der Künstlerin Maria Vina, die über die massiven Vorwürfe des Sexismus „erschrocken“ ist und ihre Arbeiten als „eher harmlos“ einstuft „im Vergleich zu dem, was in der Werbung zu sehen ist“. Für bedenklich hält diese Reaktionen auch Dr. Gisela Vetter-Libenow, Direktorin des Wilhelm-Busch-Museums für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover: „Über Kunst und Satire kann man debattieren und durchaus auch streiten. Wenn allerdings Zensur oder auch Selbstzensur erfolgt, ist das keine gute Lösung. Denn dann sind wir auf dem Weg in eine unfreie Gesellschaft.“ Um die dichterische Freiheit und deren Beschränkung geht es auch an der Alice Salomon Hochschule in Berlin-Hellersdorf. Dort läuft derzeit eine Online-Abstimmung, ob das Gedicht „avenidas“ des Lyrikers Eugen Gomringer an der Fassade übermalt werden soll. Die Gedichtzeile „Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“ (so die Übersetzung des spanischen Textes) könnten Frauen als „diskriminierend“ auffassen, meinten einige Hochschulangehörige. Der Dichter empfindet die Kampagne gegen ihn als „Vorgang einer Säuberung“ und beurteilt die Vorwürfe als „Dummheit“. Eugen Gomringer: „Diese Gendersprache und politische Korrektheit, das hat eigentlich mit diesem Gedicht, meine ich, gar nichts zu tun“. Der Journalist Philipp Kuhn kommentierte in „Die Welt“, dass sowohl in Göttingen als auch in Berlin-Hellersdorf aus diesen Auseinandersetzungen „die Kunst als Verlierer“ hervorgangen sei: „Es hat sich etwas verändert an deutschen Universitäten. Banalitäten werden skandalisiert, der Wunsch, alles richtig zu machen und auf jede Befindlichkeit zu achten, hat vielerorts Überhand genommen. Ständig fühlt sich jemand verletzt. Und die Unis spielen mehr oder weniger freiwillig mit…“


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