Russischer Kosmismus

21. August 2017 · Aktionen & Projekte

“100 Jahre Gegenwart” lautet das Schlagwort. Vor rund 100 Jahren veröffentlichte Albert Einstein seine allgemeine Relativitätstheorie, die unser physikalisches Verständnis von Raum und Zeit veränderte. Der zweite Grundpfeiler der modernen Physik ist Max Plancks Quantentheorie, veröffentlicht um 1900, und Niels Bohr erklärte 1913 die Spektralloinien des Wasserstoffatoms. Was sich an praktischer Anwendung aus dieser Forschungsgeschichte ableiten lässt, ist z.B. die Entdeckung von CCD-Sensoren aus Bausteine der Digitalkamera 1969, aber auch die militärische Nutzung von Kerntechnik und Raketentechnik nach 1945. In Russland hatte sich schon Ende des 19. Jh. aus der damals dort weit verbreiteten Spiritualität heraus die Idee eines “Kosmismus” entwickelt mit Wünschen nach physischer Unsterblichkeit der Lebenden, Wiedererweckung der Toten und Reisen ins All. In anderen europäischen Ländern beflügelten die utopischen Romane von Jules Verne die Phantasie, eine Reise zum Mond zu unternehmen: überall entstanden Vergnügungszentren als “Luna Parks”, in Berlin wude 1899 Paul Lickes Operette “Frau Luna” uraufgeführt. “100 Jahre Gegenwart”: das ist ein Zeitalter, das durch eine Begeisterung für Wissenschaft und Technik geprägt war. “Aus heutiger Sicht eröffnet der Russische Kosmismus, obwohl von der offiziellen Sowjet-Ideologie überschattet, neuartige Perspektiven auf die russische Avantgarde sowie Ideologie und Politik Russlands bis in die Gegenwart. So verlangte etwa Nikolaj Fedorov (1829–1903) in seinen einflussreichen Schriften, dass oberstes Ziel der Technologieentwicklung die Überwindung des Todes sein müsse; alle Menschen, die jemals auf der Erde gelebt haben, müssten wieder zum Leben erweckt werden. Die Kosmist_innen waren auch visionäre Wegbereiter_innen der Raumfahrt – bei Fedorov etwa war die Besiedlung anderer Planeten unausweichliche Folge der Raumknappheit nach der Wiedererweckung der Verstorbenen.” Das tangiert heutige science fiction-Idee, man könne sich zu Lebzeiten einfrieren lassen, um so längere Zeiträume zu überdauern, bis man sich auftauen und damit wiederbeleben ließe. Das Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigt vom 1.9. bis zum 3.10.2017 eine Ausstellung zum Russischen Kosmismus unter dem Titel “Art without Death”. Dazu gehört u.a. ein dreiteiliges Filmprojekt von Anton Vidokle “in einer Architektur, die von muslimischen Friedhöfen in Kasachstan – wo einige Sequenzen gedreht wurden – und dem Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz inspiriert ist.” Künstlerliste: Maria Ender, Xenia Ender, Iwan Kljun, Gustavs Klucis, Iwan Kudrjaschow, Solomon Nikritin, Kliment Redko, Alexander Rodtschenko, Olga Rosanova & Alexej Krutschonych, Wassilij Tschekrygin, Anton Vidokle und Arseny Zhilyaev. Ausstellungsarchitektur von Nikolaus Hirsch & Michel Müller. www.hkw.de


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