Marina Abramović im Stedelijk Museum Amsterdam (16.03. – 17.07.2024)
Die zweite Station der Retrospektive von Marina Abramović (*1946 in Belgrad) brachte ihr Werk, respektive die Kollaborationen mit Ulay zwischen 1976 und 1988, in das Basement des Amsterdamer Hauses, nach der 1. Station an der Royal Academy in London 2023.
Auf der Pressekonferenz am 13.03.2024 sprach die Künstlerin über ihre tiefe Verbundenheit zur holländischen Stadt, in der sie von 1975 bis 2005 lebte. Die Stadt habe mit ihrer damals einzigartigen Offenheit die Voraussetzung für die Entwicklung ihres künstlerischen Œuvres geschaffen und sie bezweifelte, das vergleichbares heute noch im Zeichen der „Political Correctness“ möglich sei. Sie sprach auch über die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit im Zuge einer lebensbedrohlichen Lungenembolie, die sie 2023 überlebte und begrüßte die anwesende Witwe ihres früheren Weggefährten Frank Uwe Laysiepen, der 2020 verstarb.
Hausherr Rein Wolfs zeigte Marina Abramović bereits 2018 in seiner Zeit als Leiter der Bundeskunsthalle in Bonn. Diesmal kuratierten allerdings Karen Archey und Nina Folkersma die Amsterdamer Station, nach Andrea Tarsia, die für London verantwortlich war. Beide Ausstellungen verbindet die Praxis der Re-Performances als Teile der Retrospektiven. Die Künstlerin bezog sich in diesem Kontext auf Nachfrage einer Journalistin nach der Authentizität auf ihre eigenen Reenactments in Form der „Seven Easy Pieces“ von 2005. Nachgestellt werden zu wechselnden Zeiten „Imponderabilia“ von 1977, „Art Must Be Beautiful / Artist Must Be Beautiful“ von 1975 und „Luminosity“ von 1997, von wechselnden Performern über die Dauer der Ausstellung zwischen 10:30 und 17:00 Uhr. Abramovićs Körperpraxis eines schmerzhaften Ausdauertrainings findet hier ihren stärksten Ausdruck für die Betrachtenden. „The House with the Ocean View“ von 2002 soll zusätzlich im Rahmen eines Theaterfestivals aufgeführt werden: der Nachbau der Zimmer zum Fasten und Schweigen dominiert den letzten Raum.
Die Zuschauer können in der Schau auch selbst zu Performer*innen werden, indem sie ein leuchtendes „Portal“ aus Selenit von 2022 durchschreiten oder in ihre „Shoes of Departure“ aus Quartz von 1991/2015 schlüpfen. Gemeinsam mit anderen lässt sich auch die „Marina Abramović Methode“ (2022), durch das Separieren und Zählen von Linsen und Reis erlernen.
Die Video-Performances mit Ulay werden im Verbund gezeigt, in einer Folge quadratischer Projektionsräume, die immer wieder neue Blickwinkel und Bezüge schaffen. Es folgen Rauminstallationen, die im Dunkel der Räume und der symmetrischen Präsentation eine sakrale Atmosphäre schaffen, die mit den esoterischen und religiösen Motiven korrespondieren. Die folgenden Stationen der Ausstellung in Zürich, Jerusalem und Wien werden neue Variationen des Werks schaffen, dass wie bei wenigen anderen von der Aura der Künstlerin lebt, die sich dazu bekennt, nach jeder „Überexposition“ im Öffentlichen ins Private zu verschwinden – ein Spannungsverhältnis.
Katalog: Royal Academy of Arts (Hg.), Marina Abramović, London 2023, 262 S., Englisch, Hardcover, 37,45 € im Buchhandel, vor Ort 29,95 €. ISBN-13 978-1-912520-41-1
von Thomas W. Kuhn
Dazu in Band 232 erschienen: