Hannover: „Das Glück der Erde“

14. Februar 2017 · Museen & Institutionen

Das Glück der Erde läge auf dem Rücken der Pferde, besagt eine geflügelte Redensart aus der Zeit, als im 19. Jh. Eisenbahn und Dampfschifffahrt dem Pferd als Transportmittel immer mehr Konkurrenz machten und daher dieser Ausspruch „einen sentimentalen Sehnsuchtsgedanken nach dem Natürlichen und Elementaren, zur kentaurenhaften Verbundenheit mit der Kreatur, ausdrückte“. Die Zeiten des Rittertums wurden im 19. Jh. nur noch in der Mittelalterbegeisterung und damit in der Kunst des Historismus hochgehalten, doch im Alltag des bürgerlichen Zeitalters hatte das Pferd als adeliges Repräsentationsobjekt ausgedient: Zur Ironisierung des Herrenreitertums reimte ein Satiriker: „Der Reitersmann, der Reitersmann, schaut sich die Welt von oben an“. Das Pferderennen auf den Galopprennbahnen der rapide anwachsenden Großstädte war nunmehr ein bürgerliches Vergnügen, und nach 1900 sorgten elektrische Straßenbahnen und Automobile für eine weitere „Entpferdung“ der Städte. Nach dem Ersten Weltkrieg nutzten auch die zusehends motorisierten Armeen keine Gäule mehr – militärische Kavallerieeinheiten gehörten der Vergangenheit an, allenfalls bei festlichen Paraden kommen sie bis heute noch gelegentlich zum Einsatz. Doch unlängst forderten Tierschützer, man sollte künftig auch bei den traditionellen Karnevalsumzügen auf Pferde völlig verzichten. Bis Mitte der 1950er Jahre verdrängten Traktoren in den westlichen Industrienationen das Pferd als Arbeitstier auch aus der Landwirtschaft – die „epochale Trennung von Mensch und Tier“ (Ulrich Raulff) war nun abgeschlossen, die „Lebens- und Arbeitsgemeinschaft“ mit den Paarhufern wird fortan nur noch als nostalgisch-folkloristischer Fiaker-Service für Touristen oder beim Einsatz romantischer Hochzeitskutschen weiter gepflegt. Und dennoch tauchen in der Kunst des 20. Jh. immer wieder Pferdemotive auf: „Je mehr sich das reale Pferd aus der sich mechanisierenden Zivilisation entfernte, desto mehr gewann es an imaginärer und chimärischer Präsenz. In der Kunst des Expressionisten Franz Marc symbolisiert es abstrakte Ideen und Spiritualität. Im Mythos ist es ein Begleiter des Göttlichen, wie bei Georges Braque oder Ossip Zadkine, in Traum und Poesie wird es lebendige Metapher von Pathos, Erotik und Leidenschaft, wie bei Picasso, Chagall und Max Ernst.“ Mit etwa 100 Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien, Gemälde und Skulpturen bietet das Sprengel Museum Hannover in den Räumen der Grafischen Sammlung bis zum 23. April 2017 einen Überblick über Pferdemotive bei Marc Chagall, Franz Marc, Pablo Picasso, Emil Nolde, Renée Sintenis, Marino Marini, Niki de Saint Phalle, Johannes Brus u.v.a. www.sprengel-museum.de


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