„Eine gefundene Realität“ - Erinnerung zum Tod von Daniel Spoerri

7. November 2024 · Personalien

Von Sebastian C. Strenger

Wie sein Estate bekanntgab, starb der Neue Realist und Begründer der „Eat Art“ gestern im Alter von 94 Jahren in Wien. Nachruf des Weggefährten und Kunstkritiker Sebastian C. Strenger über das wandlungsfähige Talent des rumänisch-schweizerischen Künstlers Daniel Spoerri.

Wie alle 18-Jährigen begann er zu dichten und wollte Schriftsteller werden. In den Existenzialistenkellern lernte er 1950 den Choreografen Max Terpis kennen. Es wurde eine schicksalhafte Begegnung. Terpis meldete ihn kurzerhand an der Theatertanzschule in Zürich an. Mit zwanzig sagte sein Ziehvater: „Eigentlich müsstest du jetzt nach Paris gehen und dort richtig beginnen.” Gesagt, getan. Und Spoerri verbrachte dort die Jahre von 1950 bis 1955. „In Paris hatte ich aber ganz andere Sachen gesehen, die mir viel besser gefielen” und so begann er, selbst zu inszenieren. An Unterstützung mangelte es nicht: Künstlerfreunde wie Bernhard Luginbühl, Dieter Roth oder André Thomkins, bestärkten ihn, zurück nach Paris zu gehen. „Dort wollte ich so eine Art Regie in der Kunstszene machen und entdeckte dabei die Multiplikation“! Der Macher Spoerri gründete die erste Multiple-Edition mit „material“, später die „Edition MAT mit Künstler*innen wie Marcel Duchamp, Man Ray, Victor Vasarely und Josef Albers. Unter den Jüngeren auch Jean Tinguely, Agam, J. R. Soto, Dieter Roth und Karl Gerstner. Ausstellungen und Tourneen folgten. Als er sich mehr mit der Verbindung von Koch- und bildender Kunst befasste, entwickelte sich daraus die Eat-Art, als dessen Begründer Spoerri heute gilt. „Essen war für mich eine sehr primäre Angelegenheit, denn das Essbare ist das Veränderlichste, was es überhaupt gibt”, sagt der zur Erkenntnis gereifte Spoerri. Eine Erkenntnis, die er aus New York mit in die Landeshauptstadt Düsseldorf mitnahm, wo er von 1968 bis 1972 ein Restaurant betrieb und 1970 eine Etage darüber die Eat-Art-Galerie eröffnete.

Im Restaurant konnte man seinen Tisch bestellen; dessen Platte ließ sich herausheben, um alle Objekte darauf zu fixieren. Eben so, wie man den Platz verlassen hatte. Und das bekam am Ende seinen Platz an der Wand – ein Fallenbild für Jedermann. Oder doch nicht? „Ich wollte 1000 Mark pro Tisch, aber die Leute fanden das Wahnsinn. Es war ja nur Geschirr für 20 Mark drauf”, schmunzelt Spoerri. Dennoch kamen Gäste wie Konrad Klapheck, Gerhard Richter und auch schon mal Gunter Sachs. Das Restaurant mit der Galerie darüber zum spannendsten Durchlauferhitzer in der Kunst der rheinischen Metropole. Ein Experimentierlabor für Künstler*innen mit zahlenden Gästen. Viele andere Künstler*innen inspirierte dies, wie auch Joseph Beuys mit seiner dort durchgeführten legendären Aktion der 1-A gebratenen Fischgräte. „Man konnte sogar in Düsseldorf ins Taxi steigen und „zum Spoerri” sagen. Jeder wusste, wo das war”, erzählte er, als wir uns zu seinem 90. Geburtstag am Küchentisch mit Corona-Maske gegenüber saßen. Als ich ihn wieder verließ, setzte er sich wieder an seinen großen Schreibtisch zwischen Hasenpfoten, Schrauben und 1.000 Glasaugen. Es war bis zuletzt das Labor des Neuen Realisten Spoerri. Heißklebepistole und Lötkolben zwischen einem überbordenden Sammelsurium von Objets trouvées, Souvenirs und Taxidermy vom Flohmarkt gleich nebenan. Dort wo er auch schonmal ganze Flohmarktstände kaufte, um sie als Fallenbilder zu fixieren. Fast so wie in den frühen Tagen der Neuen Realisten, als der Kunstkritiker Pierre Restany die Gruppe zusammenbrachte, um sein Manifest zu verabschieden. „Sie war für uns eine gefundene Realität, die jeder für sich nach einem anderen Konzept darstellte”, sagte Spoerri und arbeitete bis zuletzt.

www.spoerri.at
www.danielspoerri.org

Dazu in Band 159 erschienen:


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