Documenta-Bilanz: Finanzdebakel
Wer zum künstlerischen Leiter der Kasseler documenta berufen wird, genießt das einzigartige Privileg, dass er kuratorisch machen kann, was er will. Und noch jeder Documenta-Leiter dürfte beim Aushandeln seines Vertrags darauf geachtet haben, dass dort festgeschrieben wurde, er hafte nicht persönlich für ein eventuelles Defizit. Doch nun fürchtet Roger M. Buergel, documenta-Leiter im Jahre 2007, durch das Finanzdesaster der diesjährigen Documenta mit einem „Liquiditätsdefizit im Wirtschaftsplan“ in Höhe von 7 Mill. Euro bis Ende 2017 stünde diese bewährte künstlerische Autonomie auf dem Prüfstand; denn die Politiker, die bislang immer Zurückhaltung übten, könnten sich künftig stärker einmischen. Buergels Sorge ist nicht unberechtigt, denn angesichts der Tatsache, dass die documenta gGmbH ihre jetzige Kunstschau nur durch zusätzliche Bürgschaften der Stadt Kassel und des Landes Hessen von je 4 Mill. Euro geordnet beenden kann, fand Kassels OB Christian Geselle (SPD) klare Worte: „Die Freiheit des künstlerischen Leiters ist ein wertvolles Gut, das ich auch weiter hochhalten werde. Aber diese Freiheit hat ihren Rahmen dort, wo sie die documenta selbst in Gefahr bringt.“ Die „hessenschau“ zitiert den OB weiter: „Die vor sechs Jahrzehnten von Arnold Bode ins Leben gerufene Ausstellung ist sowohl finanziell als auch in ihrer Organisations-Struktur an Grenzen gekommen.“ Der Documenta-Aufsichtsrat bewilligte einschließlich eines „Sicherheitspuffers“ ein Darlehen in Höhe von 8 Mill. Euro, das über die erwähnten Bürgschaften abgesichert ist. Buchhalterisch ist von besagtem Liquiditätsdefizit ein „bilanzielles Defizit“ zu unterscheiden, das mit 5,4 Mill. Euro allerdings auch recht happig ist. Externe Wirtschaftsprüfer sollen nun klären, wie es bei der d 14 zu dem Finanzdebakel kommen konnte, doch für die HNA-Hessisch Niedersächsische Allgemeine sind die Gründe bereits offensichtlich: so „soll der Standort Athen viel mehr Geld verschlungen haben, als eingeplant war. Auch die Besucherzahlen sind wohl keineswegs auf Rekordkurs: Statt einer 20prozentigen Steigerung“ kamen nur 891.500 Kunstfans nach Kassel. Dass unterdessen das Abschlussbulletin der d14-Macher die 339.000 Besucher in Athen hochjubelt und Elogen auf die „bestbesuchte Ausstellung zeitgenössischer Kunst… in Griechenland“ verbreitet, dürfte der Kasseler Stadtkämmerer jetzt keineswegs als hilfreich empfinden. Die hessischen Politiker verteidigten indessen die Entscheidung für einen zweiten Standort in Athen; es ginge jetzt nur darum, heraus zu finden, „was in Athen genau passiert sei“. Die HNA hat jedenfalls schon einen Schuldigen ausgemacht: „Leiter setzte Geld in den Sand“, lautet die Schlagzeile: der Chefkurator Adam Szymczyk habe die documenta „an den Rand des Ruins“ gebracht. Die HNA beklagt seine „notorische Abwesenheit“, Szymczyk habe „kaum etwas“ getan, „um mehr Geld für die Weltkunstausstellung einzutreiben“. Auch die Rolle der Documenta-Geschäftsführerin Annette Kulenkampff sieht die HNA kritisch: ihr fehlte „womöglich… Durchsetzungsvermögen und Erfahrung, um Szymczyk zu bremsen“. Personelle Konsequenzen schloss OB Geselle allerdings vorerst aus: Kulenkampff hat einen Vertrag bis 2018. www.documenta.de