Der Fall Waldmann
Wer war Karl Waldmann? Gab es ihn überhaupt? Dass Künstler als konzeptuelle Strategie Kunstfiguren erfinden und in den Kunstbetrieb lancieren, kommt öfters vor: Marcel Duchamp erschuf eine „Rose Sélavy“ (auch „Rrose Sélavy“ geschrieben und wie das französische „C’est la vie“ ausgesprochen), benutzte diesen Namen nicht nur als abstraktes Pseudonym, sondern ließ sich von Man Ray auch in entsprechender Maskerade fotografieren. Der Kölner Fotokünstler Ulrich Tillmann erfand einen Klaus-Peter Schnüttger-Webs und arrangierte für ihn sogar ein eigenes Museum. Aber nicht nur Künstler sind in dieser Hinsicht phantasiereich, sondern bisweilen auch Politiker: So ersann z.B. der deutsche Diplomat Hasso von Etzdorf einen angeblichen „Ministerialrat Dräcker“, ursprünglich nur zu dem Zweck, um eine langweilige Sitzung unter dem Vorwand verlassen zu können, der Ministerialrat habe ihn angerufen. Später erlaubten sich Beamte im Auswärtigen Amt den Scherz, diesem fiktiven Dräcker eine komplette Biografie zu verpassen. Zwei SPD-Bundestagsabgeordnete sponnen sich in ähnlicher Weise einen fiktiven Kollegen namens Jakob Maria Mierscheid zusammen. Seitdem geistern die Kunstfiguren Dräcker und Mierscheid mit immer neuen Schnurren durch die Hinterzimmer des deutschen Polit-Betriebs. Immerhin wurde die Dräcker-Posse sogar unter dem Titel „Das Phantom von Bonn“ verfilmt, doch von dem angeblichen Dadaisten Karl Waldmann gibt es kein Foto und auch sonst keinen Beleg, und man weiß daher nicht so recht, ob er wirklich existierte, oder ob er nun eine Künstlerfigur à la Rrose Sélavy oder viel unkünstlerisch-profaner nur eine „Finte des Marktes“ („Der Tagesspiegel“) ist. Jedenfalls will ein französischer Journalist auf einem Berliner Flohmarkt bzw. dem damaligen „Polenmarkt“ 1989 Collagen dieses angeblichen Dadaisten mit Bauhaus-Einflüssen entdeckt haben. Seitdem kursiert ein größeres Konvolut an Waldmann-Collagen auf dem Kunstmarkt, nebst der Legende, besagter Karl Waldmann habe zwischen 1920 und 1950 in Dresden gewirkt und sei 1958 in einem sowjetischen Arbeitslager verschollen. Die Ausstellung „Künstliche Tatsachen“ jüngst im Kunsthaus Dresden indes verstärkte schon längst vorhandene Zweifel, der Erschaffer dieser Collagen sei womöglich nur reine Fiktion. Zweifel gibt es nämlich hinsichtlich der materiellen Authentizität der Waldmann-Collagen (so seien z.B. die Schnittkanten zu wenig vergilbt), die unlängst ein belgischer Galerist dem Kunsthaus Dresden als Leihgaben überließ. Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtet, inzwischen räume man im Kunsthaus Dresden ein, Waldmanns Werk sei womöglich lediglich „ein zeitgenössisches künstlerisches Projekt“, das „mit fiktionalen Strategien“ arbeite. Daran hätte der Ur-Dadaist Marcel Duchamp vielleicht seine helle Freude gehabt, doch noch ist unklar, ob eine solche „künstlerische Fiktion“ nicht zugleich auch eine kriminelle Dimension haben könnte, da es sich hierbei womöglich um „Fälschungen“ im strafrechtlichen Sinne handelt. Jedenfalls sind die Landeskriminalämter von Berlin und Sachsen mit dem Fall Waldmann befasst, und der Kunsthandel ist wieder einmal verunsichert: was aus dem Umfeld dieser Epoche der Moderne, insbesondere an Kunst der sowjetischen Avantgarde angeboten wird, ist in manchen Fällen auch bisher schon hinsichtlich der Echtheit oftmals mit größtem Argwohn zu beäugen. Der jetzt publik gewordene „Fall Waldmann“ ist jedenfalls nicht dazu angetan, das schon durch den Fälscher Beltracchi und den Achenbach-Skandal ziemlich ramponierte Vertrauen der Sammler in den Markt wieder zu stärken.