Das neue Buch SIGNED von Larissa Kikol
eine Rezension von Ann-Katrin Günzel
Ich verlasse meine dunkle Wohnung und hole mir einen Kaffee gegenüber, während in der Stadt 1500 Dosen durchgeschüttelt werden…
… mit diesen Worten zieht Larissa Kikol, freie Kunstkritikerin und Autorin, los, um die Sprayer der 1UP-Crew und Moses & TapsTM durch die Nacht zu begleiten. Drei Jahre lang war sie immer wieder mit ihnen unterwegs, in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und Köln und nun berichtet sie in ihrem neuen Buch SIGNED von diesen Streifzügen, von Beobachtungen, Erfahrungen und Gesprächen, die zunächst zu dem KUNSTFORUM-Band Graffiti NOW. Ästhetik des Illegalen (Bd. 260/Mai-Juni 2019) und jetzt zu dieser Erzählung geführt haben. Die Recherchen zu ihrer Annäherung an eine „Kunst im Spannungsfeld von zivilem Ungehorsam und der Freiheit des ‚Trotzdem‘“, wie auf dem Buchrücken zu lesen ist, sind geprägt von einer großen Neugier der Autorin, von einer ebenso großen Bereitschaft, immer wieder stundenlang auf den richtigen Zeitpunkt zu warten und schließlich dem noch größeren Vergnügen an der Aktion. Wenn die Züge bemalt werden, ist das jedes Mal wieder ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, trotz Planung und genauester Absprachen. Ein überaus spannender Bericht also, der Einblicke in die Hinter- und Untergründe gibt.
So kann man auf diesen 300 Seiten viel lernen über Backjumps, Wholetrains und den Unterschied, den es machen kann, ob jemand S-Bahnen oder ICEs besprüht. Larissa Kikol bringt dabei auch auf den Punkt, dass es sich beim Besprühen der Züge zumeist um eine kollektive Arbeit handelt, um einen Prozess, der gemeinsam geplant und durchgeführt wird und bei dem es auch unwichtig wird, wer die Linien zieht, wer ausmalt, wer fotografiert und wer Wache hält.
Diese autobiografische Erzählung besticht durch die Offenheit der Autorin, ihren ganz persönlichen Zugang als Kunstwissenschaftlerin, die sich mit Fragen der zeitgenössischen Bildbetrachtung beschäftigt und zu dem Ergebnis kommt, dass diese illegalen Aktionen des Sprayens per se eine ungeheure Faszination auf sie ausüben und ihr das beruhigende Gefühl vermitteln, dass es Leute gibt, die (herrschende) Systeme unterwandern. Damit macht sie auch deutlich, dass es hier um mehr als Bildhaftigkeit geht, weil nämlich das Subversive dieser illegalen Aktionen auch die Frage danach, wem die Stadt gehöre, neu formuliert. Das Problem der Gentrifizierung, das inzwischen auch in Kleinstädten bekannt ist, die Kritik an Immobilienbesitz und ungerechten Machtverhältnissen, die in den westlichen Gesellschaften fest im kapitalistischen System verankert sind, zieht sich durch zahlreiche nächtliche Gespräche in einem Berliner Dönerladen und weist immer wieder darauf hin, dass Graffiti als Vandalismus eben auch die Funktion der Störung habe, welche nötig ist, um in einer Demokratie daran zu erinnern, dass es neben den Besitzenden viele Besitzlose gibt und dass soziale Ungerechtigkeit nicht über Verdrängung, sondern über Zur-Sprachebringen in die gesellschaftlichen Debatten zurückkehren muss und nur so gelöst werden kann.
Das Buch ist im dcv-Verlag erschienen, ISBN:978-3-96912-121-4, mehr Infos: www.dcv-books.com