Art Basel: Tiefgestapelt in die Zukunft
Ein Messebericht von Sebastian C. Strenger
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Es wird tief gestapelt. Die Angst ist groß, als Galionsfigur einer gesamten Branche die Erwartungen nicht erfüllen zu können. In ihrer 54. Ausgabe eröffnet die so gerne führende Grande Dame der Kunstmessen mit einigen Brüchen in der Tradition. Vorneweg sprach die neue Direktorin der Schweizer Messe zu ihrer ersten Ausgabe, nachdem sie im vergangenen Sommer die Leitung der Messe übernommen hatte, jüngst mit der britischen Tageszeitung Financial Times. Entgegen der sonst aus Basel bekannten Attitüde des Besser-Höher-Weiter räumt Maike Cruse hier ein, dass die allgemeine wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Unsicherheit ihren Tribut an den Handel gefordert hat. Die letzte Auktionssaison in New York war im Vergleich zu 2023 um 22 Prozent rückläufig, und die Verkäufe auf Kunstmessen von New York bis Hongkong waren noch gedämpfter. „Es ist keine Katastrophe, aber es gibt einen unbeständigen Hintergrund mit hohen Zinssätzen und Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten. Es gibt also etwas weniger Dringlichkeit [auf dem Kunstmarkt]“, sagt Cruse.
Ihre Aussage spiegelt die Situation. Laut dem aktuellen „Global Art Market Report“, den die Art Basel und die Großbank UBS jährlich herausgeben, ist das Gesamtvolumen der weltweiten Kunstverkäufe im Jahr 2023 um vier Prozent auf rund 65 Milliarden Dollar gesunken. Große Galerien hatten zuletzt Umsatzeinbußen von mindestens sieben Prozent. Und auch eine gewisse Langeweile hat sich im Markt breit gemacht. Der Geschäftsführer der traditionsreichen und bedeutenden Lisson Gallery, Alex Logsdail, stimmt zu, dass die Leute von der schieren Anzahl der Messen nach der letzten Zählung mit 359 pro Jahr, abgeschreckt sind. „Sie können nicht alle erfolgreich und die Qualität kann nicht immer außergewöhnlich sein“. Vor diesem Hintergrund finden die größten Veränderungen der Art Basel in diesem Jahr nicht innerhalb der Mauern des Messeplatzes statt, wo mit ihrer sicherlich hochkarätigen bis mindestens interessanten Ware 286 Galerien mit 22 Newcomern ausstellen und auf Käufer*innen hoffen, sondern außerhalb, wo sie sich mit einem erweiterten Parcours-Bereich zwischen Ein-Euro-Shops und kleinen Restaurants an der Clarastraße über die Geschäftszeiten des Haupthandels hinaus in die Stadt Basel ausbreiten. Veranstaltungen für ein jüngeres, feierfreudiges Publikum sollen es sein. Dabei setzt man auf die Stärkung des traditionellen Geschäfts auf der Hauptmesse durch neue jüngere Zielgruppen, etwa wie vor den Toren der Art Basel, wo seit 2022 der Basel Social Club stattfindet, eine von Galerien unter freiem Himmel betriebene kommerzielle Veranstaltung.
Immerhin nimmt auf der Messe die Dominanz der überwiegend vertretenen nordamerikanischen und europäischen Galerien mit den diesjährigen 41 Galerien gegenüber 33 im Vorjahr mit Wurzeln außerhalb dieser Regionen ein wenig ab und dadurch die Internationalität geringfügig zu. Hat in Venedig die Kunstbiennale derweil bereits an Fahrt aufgenommen, hoffen die Messe-Organisatoren dennoch auf einen Schlenker des internationalen Publikums nach Basel. Wenngleich die ausgezeichneten Museen der Stadt mit dem Museum Tinguely und einer Einzelausstellung der Installations- und Videokünstlerin Mika Rottenberg, dem Kunstmuseum Basel mit einer Ausstellung zur figurativen Malerei aus Afrika und der afrikanischen Diaspora der vergangenen 100 Jahre oder der Fondation Beyeler in Riehen nur eine allenfalls geringe Ablenkung in Basel darstellen, so erhofft man sich die größte Aufmerksamkeit eines international interessierten Publikums für die Messe. Zur Erreichung dieses Ziels haben in diesem Jahr jedenfalls 194 Betriebe (53 Hotels und 141 Gastrobetriebe) die „Charta gegen Preisexzesse und für mehr Gastfreundschaft” unterzeichnet. 2023 waren es 158 Betriebe. Ist man vor Ort, sieht man, dass diese Rechnung nicht aufgeht und allenfalls Makulatur ist, wenn große Häuser wie ein sonst moderates Motel One Hotel die Preise im Messezeitraum vervier- bis verfünfacht haben. Zugleich hat man die Eintrittspreise modifiziert, um dem örtlichen Publikum entgegenzukommen. Denn in den vergangenen sieben Jahren hat der Messebetreiber über 420 Millionen Franken an Nettoverlusten angehäuft und damit zuletzt die öffentliche Diskussion um eine Verschwendung von Steuergeldern entfacht. Und so wird man mit reduzierten Eintrittspreisen und einer Öffnung von einer Fach- hin zu mehr Publikumsmesse eine kosmetische Korrektur der Besuchszahlen vornehmen können, die vor Beginn der Coronapandemie im Jahr 2019 rund 90 000 Besucher*innen zählte, 2022 bei 70 000 lag und im vergangenen Jahr mit 82 000 Besucher*innen bei schlechten Umsätzen zuende ging.
Die Besucher*innen dürfen sich dennoch auf viel Qualität an den kommenden Messetagen bis Sonntag freuen. Dafür sorgt das diesjährige Auswahlkomitee der Art Basel mit Galerist*innen wie Sadie Coles (London), Peter Freeman (New York), Jochen Meyer (Berlin, Karlsruhe), Jan Mot (Brüssel), Atsuko Ninagawa (Tokio), Franco Noero (Turin), Franck Prazan (Paris) und Prateek Raja (Kolkata). Dazu zählt auch eine Mini-Retrospektive von Jean Tinguely am Stand der Galerie Mueller, ebenso wie Werke des amerikanischen Künstlers Peter Halley bei Maruani Mercier. Die Tina Keng Gallery aus Taipeh ist die erste taiwanesische Galerie, die im Hauptbereich der Messe ausstellt, ebenso wie erstmals teilnehmend ROH Projects aus Jakarta die Klanginstallation „Togar“ des indonesischen Künstlers Julian Abraham zeigt.
Zu den Highlights in der Haupthalle gehören John Baldessaris „Commissioned Painting: A Painting by Patrick X Nidorf OSA“ von 1969 für $ 3,5 Mio. bei Sprüth Magers oder auch Georg Baselitz’ bemalte gelbe Bronze „Dresdner Frauen – Die Elbe“, zwar 1990 konzipiert, jedoch erst 2003 gegossen für 2 Mio. € bei Thaddaeus Ropac. In der Sektion ihrer ehrgeizigen Projekte „Unlimited“ zeigt Hauser & Wirth Henry Taylors „Untitled“ aus dem Jahr 2022 für $ 2,5 Mio. eine Installation von Schaufensterpuppen als Tribut an seinen Bruder, ein ehemaliges Mitglied der Black Panther Bewegung, während Gagosian einen verpackten VW Käfer von Christo (1963-2014) für rund $ 4 Mio. anbietet. Und David Zwirner im 30. Jahr seines Bestehens mit 30 Künstler*innen und Hauptwerken von Alice Neel bis Joan Mitchell antritt. Eine Besonderheit der Unlimited: Im Jahr 1984 sprühte Keith Haring ein rund 91 Meter langes Wandgemälde auf Tafeln entlang der New Yorker Stadtautobahn. Die ein Jahr später entfernten 30 Tafeln werden nun zu einem bedeutenden Teil auf der Art Basel gezeigt, bevor sie möglicherweise die in Vorbereitung befindliche große Ausstellung des Künstlers im kommenden Sommer im Gropius Bau in Berlin verstärken werden.
In der Sektion Statements für aufstrebende Künstler*innen sind Arbeiten von Ahmed Umar (OSL Contemporary) zu sehen, dessen sudanesische Brauttanz-Performance Teil der diesjährigen Biennale von Venedig ist. Ein ebenso sehenswertes Highlight ist auch der Stand der Galerie KOW mit zeitgemäßen kunstgeschichtlichen Positionen im Kontext brandaktueller Themen: Das Who is Who einer jüngeren Kunstgeschichte ist hier vertreten mit einer Installation von Anna Boghiguian, Candice Breitz, dem Kollektiv CATPC mit Gemeinschaftsarbeiten ihres bei der Biennale in Venedig jüngst verstorbenen Mitglieds Blaise Mandefu Ayawo, Alice Creischer, Renzo Martens, Santiago Sierra, Franz Erhard Walther und Clemens von Wedemeyer, dem die mit Standorten in Berlin und Wien vertretene Galerie, vor einem Umzug an der Spree in neue Räume bis zum 29. Juni noch eine sehenswerte Ausstellung ausrichtet.
Öffnungszeiten Art Basel:
VIP-Zugang:
10./11. Juni: 11:00 bis 20.00 Uhr | 12. Juni: 17.00 bis 20.00 Uhr
Öffentliche Tage:
13. bis 16. Juni: 11 bis 19 Uhr
www.artbasel.com