Apokalyptische Leichtigkeit - Nairy Baghramian
Die Wiener Secession sei ein „Organ“, erklärt Nairy Baghramian beim Presserundgang durch ihre Soloschau „Breath Holding Spell“. Bereits 2016 waren hier im Hauptraum zwei ihrer Skulpturen in der Gruppenausstellung „Andere Mechanismen“ (Kurator: Antony Huberman) zu sehen. Damals habe sie den Raum als Mundhöhle gesehen, die Werke seien eng wie Zähne beieinander gestanden. Jetzt schlägt sie das Bild einer „Lunge“ vor, die Skulpturen „nehmen Raum ein und geben Raum zurück“. Tatsächlich ist die Ausstellung wunderbar luftig und von einer großen Leichtigkeit geprägt – allerdings nur auf den ersten Blick: Die Werke aus der Serie „Dwindlers“ und „Breath Holding Spell“ sind aus Glas geformt und so fragil, dass bisweilen Teile abbrechen. Das führt zwar laut Baghramian zu neuen Formen, erzeugt aber bei uns eine große Verunsicherung: Man bewegt sich übervorsichtig durch den Raum. Das zerbrechliche Gefüge ist kombiniert mit prothesenartigen, verzinkten Metallklammern und harten Stahlhalterungen, das Material durch die einbrannten, schlierig erscheinenden Farben irritiert. Baghramian spricht von einer „ambivalenten Abstraktion“. Durch Titel und Details erhalten die reduzierten, an Minimalismus erinnernden Formen eine unerwartete Aufladung. Mit `Affektkrämpfe´ übersetzt, oder mit dem Bild, dass jemand Dampf ablassen muss, neigen wir dazu, in den Formen Überdruckventile zu erkennen, die offenbar aufgebrochen sind. Damit schleicht sich langsam der Eindruck einer apokalyptischen Leichtigkeit ein – was für ein passendes Bild für unsere Zeit! (SBV)
Wiener Secession, 20.11.2021-23.1.2022 www.secession.at