Karl Ruhrberg
Zwischen Restauration und Aufklärung
Das Museum im Spannungsfeld von Bilderlust und Bilderfeindschaft
Der folgende Aufsatz des Direktors des Ludwig Museums Köln, Karl Ruhrberg, erschien, gekürzt, zum erstenmal in der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT vom 8. März 1979. Er wird hier zum erstenmal vollständig abgedruckt. Er bezieht seine Aktualität aus dem Spannungsverhältnis zwischen einer rapiden Zunahme des Publikumsinteresses am Museum und dem daraus resultierenden Neubau-Boom an vielen Orten der Bundesrepublik Deutschland einerseits, der merkwürdigen Bilderfeindschaft, vor allem politisch organisierter junger Leute unterschiedlichster Couleur und einer restaurativ-autoritären Kulturpolitik, wie sie vor allem in München praktiziert wird, andererseits.
Das Museum als wunderbare Waffe
Das “gesunde Volksempfinden” probt wieder einmal den Aufstand. Die unheilige Allianz potentieller Bilderstürmer reicht von “Quick” auf der einen bis zu den Vulgärmarxisten auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Für Jean Améry war die Gefährdung des Jugendaufstands der sechziger Jahre und seines moralischen Elans durch einen realitätsblinden Irrationalismus die zweite bittere Enttäuschung der Nachkriegszeit nach dem moralisch gescheiterten Wiederbeginn. Er bescheinigte den heruntergekommenen Erben der Bewegung, sie hätten das kritische Denken und Aufbegehren zugunsten hohler Phraseologien und Leerformeln verabschiedet. Anlaß der neuerlichen, emotional aufgeladenen, intellektuell unkontrollierten Angriffe auf Kunst und Museum sind die bereits geplanten oder vollzogenen Aufwendungen für Museumsneubauten in der Bundesrepublik, von Stuttgart bis Mönchengladbach, von Hannover bis Düsseldorf, von Ludwigshafen bis Köln. Die Projekte sind Folgen eines enormen, in seiner Potenzierung nicht vorhergesehenen Publikumsinteresses. Bei einer Steigerungsrate von zwanzig Prozent gegenüber dem Jahr davor stieg die Besucherzahl der bundesdeutschen Museen (einschließlich der historischen und kulturgeschichtlichen) 1977 auf 32…