Köln
Zwischen Nackenstarre und Kunstgenuss.
Daumiers Menschen im Museum
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud 29.11.2024 – 27.04.2025
von Jörg Restorff
Davon können heutige Kunstjournalistinnen und -journalisten nur träumen: 1865 veröffentlichte Honoré Daumier in der satirischen Zeitschrift Le Charivari eine Lithografie mit dem Titel Die Promenade des einflussreichen Kritikers. Das Zentrum der Szene, die im Pariser Salon angesiedelt ist, beherrscht ein Kunstrichter. Durchdrungen vom Gefühl eigener Bedeutsamkeit, notiert er seine Eindrücke auf einem Zettel. Die schnippische Miene deutet an, dass seine Meinung über die im Hintergrund bloß schemenhaft auszumachenden Gemälde wenig schmeichelhaft ausfällt. Umringt ist der gestreng Schreibende von Künstlern, die ehrerbietig ihren Zylinder ziehen – offenbar in der Hoffnung, das Urteil zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Obwohl Honoré Daumier (1808 – 1879), ein überaus treffsicherer Karikaturist, mit seiner Darstellung zu Spott und Lachen reizen wollte, birgt sie einen ernsten Kern: Seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts brachten die Pariser Zeitungen zu den Salons, die de facto Bilderbasare waren, regelmäßig Ausstellungsberichte; diese Kritiken hatten erheblichen Einfluss auf die berufliche Laufbahn von Künstlerinnen und Künstlern. Ein Verriss konnte schlimmstenfalls den kommerziellen Ruin nach sich ziehen. Nachvollziehbar deshalb, dass der „Critique influent“ bei Daumier im Rampenlicht steht.
Geradezu subaltern erscheint dagegen der gesellschaftliche Rang der Künstlerinnen und Künstler, deren Werke in „Petersburger Hängung“ dicht an dicht neben- und untereinander hängen. Eine Zahl mag deren bedrängte Lage vergegenwärtigen: Allein 1880 waren 5.000 Kunstschaffende mit ihren Werken beim Salon vertreten. „Paris“, urteilte der Kunstkritiker Louis Peisse, „ist heute die große Gemäldefabrik Europas.“ Von dieser Inflation war Honoré Daumier nur indirekt…