Zwischen Anus und Orkus
Pastelle von Francesco Clemente
Einer der “Stars” der italienischen Kunstszene, die unter dem Stichwort der ,,arte chifra” aufgegangen sind, der 1952 in Neapel geborene Francesco Clemente, wurde Mitte März bis Mitte Mai in der West-Berliner Nationalgalerie mit einer Premiere geehrt. Erstmals wurde eine umfassende Auswahl seiner Pastelle vorgestellt, der dazugehörige opulente Katalog (erschienen bei Prestel, 35,- DM) enthält sogar ein Verzeichnis aller bisherigen Arbeiten in dieser Technik, begleitet von kleinen Schwarzweißabbildungen. Nach Berlin durchläuft die Ausstellung eine “tour d’honneur” über Museum Folkwang in Essen, Stedelijk Museum in Amsterdam und Kunsthalle Tübingen. Der zwischen New York, Rom und dem indischen Madras hin- und herpendelnde Künstler bedient sich der sogenannten “trockenen” Malerei, wie die noch verhältnismäßig junge Technik des Pastells genannt wird, in recht unkonventioneller Weise. Der Umgang mit dem Pastell, wie ihn das Rokoko oder auch ein Degas pflegte, bestimmt noch immer unsere Rezeption, wird aber von Clemente radikal irritiert.
Traditionell für helle, zarte Töne, für sanfte Übergänge und Weichzeichnung oder anmutige Bewegung verwendet, kehrt Clemente dieses Verhältnis um. Schrille, giftige Farben, auf den ersten Blick abstoßende, häßliche Bildmotive, Starrheit, Flächigkeit. An der zumeist verzerrten physischen Erscheinung des Menschen exemplifiziert Clemente seine Mythologie des Fleisches, genauer: der Körpersäfte. Sexualität bildet den inhaltlichen Bezugspunkt der Bilder, Sexualität als Sinneswahrnehmung, ohne daß aber Qualitäten von Erotik oder Sinnlichkeit auszumachen wären.
Die Bildhintergründe sind zumeist ein- oder mehrfarbig, undurchdringlich, lassen die Illusion von Raumtiefe nicht zu. Auffallend häufig tauchen die asketisch-markanten Gesichtszüge von Clemente in seinen Bildern auf, gelegentlich an Paul Klee oder die…