Zweierlei Maß: Wert der Kunst und Wert der künstlerischen Arbeit
Kunst und Kreativität als Kapital
von Marc Wellmann
Im Einleitungstext zur Ausstellung „Not Working – Künstlerische Produktion und soziale Klasse“ im Kunstverein München wird der gegenwärtige Kunstbetrieb als „dysfunktionales System“ beschrieben, das auf die „Prekarisierung der meisten seiner Produzent*innen“ angelegt sei. In der fortgesetzten „Verherrlichung“ wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Randständigkeit mache sich die Kunst zur „Kompliz*in der Reproduktion und Verdeckung bestehender Verhältnisse, die sie eigentlich zu überwinden vorgibt.“1 Ähnliche Zusammenhänge benennt Oliver Koerner von Gustorf in seinem vielbeachteten Plädoyer für kollektiv finanzierte „Kunst-Commons“: „Schon lange gibt es Künstler, Kuratoren und Aktivisten, die nicht nur offensiv gegen eigene oder fremde prekäre Arbeitsbedingungen kämpfen, sondern auch die Klassengesellschaft und das brutale Wirtschaftssystem thematisieren, die diese Verhältnisse hervorbringen und zugleich auch die Motoren des Kunstbetriebs sind. […] Immer mehr Künstler folgen der Spur des Geldes und hinterfragen die vermeintlich progressive Haltung des Kunstbetriebs, hinter der sich repressive, ausbeuterische Wirtschaftspraktiken und neoliberale Politik verbergen.“2
Die offenkundigen strukturellen Probleme des Kunstbetriebs im Hinblick auf finanzielle Vergütung und Wertschätzung sind hinlänglich bekannt. Laut einer 2018 veröffentlichten Studie können in Berlin von den professionellen Künstler*innen lediglich 10 Prozent voll und ganz davon leben, wozu sie an einer Hochschule oder Akademie ausgebildet wurden.3 Diese Zahl basiert auf Selbstauskunft, und es ist nur im Einzelfall sauber zu differenzieren, ob mit der künstlerischen Arbeit allein die Erschaffung von Kunstwerken gemeint ist oder ob dazu auch Lehrtätigkeit, Ausstellungshonorare oder andere unmittelbar oder mittelbar mit dem Kunstbetrieb verbundene Einkommensquellen gehören, wie etwa grafische Gestaltung, Fotografie, Ausstellungsaufbau…