Oliver Zybok
Zum Verhältnis von Kunst und Demokratie
I. Demokratie auf dem Prüfstand
»Künftige Archäologen werden aus den Zeichen, die sie an einer Kreuzberger Hauswand, Ohlauer Straße, vorfinden, eine Menge über unsere Zeit erfahren. Sie werden an den Graffiti die verschiedenen Schichten ablesen, die das allgemeine Bewusstsein in den vergangenen Jahrzehnten durchlaufen hat. ›Es lebe der proletarische Internationalismus‹, werden sie als erste Schriftzeichen entziffern und daraus ableiten, dass es damals noch die Rückendeckung eines Systems mit einer komplett eigenen Sprache gegeben haben muss. An der zweiten Schicht – ›Weg mit den Yuppies‹ – werden sie erkennen, dass davon nur trotziges Ressentiment die Zeit überdauert hat. Wirkliche Rätsel wird ihnen die dritte Schicht aufgeben, in der es heißt ›Scheiß Relativität!‹ Das ist die Schicht unserer Gegenwart. Die Verzweiflung hat keine Adressaten mehr. Der neue Gegner ist das Verschwinden des Gegners.«1 Auch wenn zeitweise Verzweiflung in Befreiungsjubel umschlägt, scheint ein Konsens über ein politisches Ziel und dessen Realisierung angesichts der Medialisierung und damit Relativierung von Politik heute kaum mehr möglich. Noch vor ungefähr vierzig Jahren existierte bei Intellektuellen und Künstlern ein facettenreicher linker Konsens, der eine Richtung für Veränderungen der Gesellschaft vorgab. Ebenso wie heute war Politik jedoch nur in einigen Fällen Anlass der Kunst, eine auf aktuelle Tagespolitik gerichtete Intentionalität in der Kunst weniger stark als das Interesse an der Grenzüberschreitung des eigenen Tätigkeitsfeldes und an einer Sensibilisierung der Konsumenten für alternative Wahrnehmungen.
Im Gegensatz zu den kollektiven Strömungen der sogenannten Avantgarden, die über gemeinsame formale und inhaltliche Kennzeichen verfügten, gilt die mediale und…