HERMANN PFÜTZE
Zügellos – die andere Kunst in der DDR
Galerie Barthel + Tetzner, Berlin, 23.8. – 1.11.2003
Gleichzeitig zur großen Ausstellung politisch und ästhetisch repräsentativer “Kunst in der DDR” in der Neuen Nationalgalerie zeigt die Galerie Barthel + Tetzner eine überraschende Auswahl bildender Kunst, die nicht am lockeren oder strafferen Zügel der DDR-Kulturpolitik ging. – Wer politisch verfolgt wird, muss sich entweder verstecken oder besonders legal verhalten, muss sich also ständig selbst negieren, das ist die alltägliche, höchst diziplinierte Überlebenskunst sog. Illegaler. Wer in einem totalitären System künstlerisch sich nicht gängeln lassen will, muss ähnliche Disziplin entwickeln, aber gewissermaßen mit doppelt negativen Vorzeichen. Er muss die staatliche Nichtachtung negieren, ohne sie auf den Plan zu rufen. Solch’ politisch und ästhetisch negative Disziplin musste die andere Kunst in der DDR üben, um sich weder verstecken noch anpassen zu müssen und dennoch zügellos und uneingeschränkt arbeiten zu können.
Im Westen wird, vereinfacht gesagt, mit künstlerischer Zügellosigkeit eher Rücksichtslosigkeit und Libertinage assoziiert, in Osten dagegen formale Selbstdisziplin und balancierende Bedachtsamkeit. Der Nonkonformismus dieser anderen Kunst zeichnet sich nämlich aus durch eine förmlich und materiell durchdachte Vielfalt bildnerischer Experimente, denen gegenüber der größte Teil der repräsentativen DDR-Kunst doch sehr im Rahmen traditioneller Darstellung und Tafelmalerei bleibt.
Die Ausstellung der Galerie Barthel + Tetzner beschränkt sich zwar, in drei kleinen Räumen fern aller Ostalgie eingezwängt zwischen Intercity-Trasse, Hotel Kempinski und Jüdischem Gemeindehaus, notwendig auch auf Bilder und Plastiken, aber es sind Zeugnisse einer schon frühzeitig intermediären, grenzüberschreitenden Kunst, die erst nach 1989 in Ost und West richtig gezeigt…