Sigrid Feeser
Zufall als Prinzip
»Spielwelt, Methode und Systemin der Kunst des 20. Jahrhunderts«
Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen, 18.1. – 15.3.1992
Das Leben des Menschen gleiche einem Würfelwurf, meinte einst schon der römische Komödiendichter Terenz: “Wenn der höchste Wurf nicht fällt, verbessert man den Zufallswurf durch Kunst.” Die ästhetischen Konsequenzen, die sich aus dem leichtgewichtigen Aphorismus herausdestillieren lassen, können allerdings sehr verschieden ausfallen. Zufall ist ohne sein Gegenteil, die Notwendigkeit, gar nicht denkbar. In einem brillanten Anagramm aus Pflastersteinen, das “casusal” (zufällig) und “causal” (ursächlich) in aleatorisch “geordnete” Beziehung zueinander setzt, hat Timm Ullrichs 1982 den beunruhigend vieldeutigen Sachverhalt sichtbar gemacht: Die sechs Steine tragen auf ihren sechs Seiten die jeweils sechs Buchstaben beider Wörter. “Nach den Gesetzen des Zufalls” ergibt der gelungene – zufällige, gesetzmäßige – Wurf von sechs “Zufallstreffern” die Lesart “causal”.
Timm Ulrichs’ Steinwürfel im Sandkasten(!) sind ein besonders eingängiges Beispiel für die Kausalität im Zufälligen, das Zufällige im Kausalen, den notwendigen Zufall und die zufällige Notwendigkeit. Rien ne va plus! Zufall ist nicht immer gleich Zufall, durcheinandergewürfelt heben die einander logisch widerstrebenden Gegensätze sich scheinbar zufällig auf.
Aber Zufall “als Prinzip”? Seit Marcel Duchamp drei “Musterfäden” von einem Meter Länge aus einem Meter Höhe fallen ließ und die neuentstandenen Figuren (und Längenmaße) für die Ewigkeit fixierte, Jean Arp die Ad-hoc-Lage von Papierschnipseln als endgültige Komposition akzeptierte und die Surrealisten ihre Neugierde auf das Unbewußte im Menschen richteten, steht der Zufall als Prinzip schöpferischer Unruhe auf der Tagesordnung. Was aber haben Victor Hugos präinformelle Tuschevisionen, Jackson Pollocks “action paintings”, Henri Michaux’ Meskalinräusche und…