Zu diesem Heft
Ein wuchtiges Wohnhaus aus Beton, nur 35 cm groß; Bauarbeiter in einem Mauerwerk aus Ton, nur 44 cm hoch; eine Alchemistenküche, nicht größer als ein Schuhkarton; ein Erdbeerpflücker, der bequem in einer Erdbeerkiste Platz fände; fabelhaft verspielte Figuren, die nicht größer sind als ein Märchenbuch, aus dem sie stammen könnten: die zeitgenössische Skulptur hat, wie es scheint, ihre Berührungsscheu vor der Miniatur verloren. Hubert Kiecol, von dem das Betonhochhaus stammt, ist den Lesern von Kunstforum bereits aus Band 56 bekannt, die beiden Schweizer Peter Fischli und David Weiss, von denen die Alchemistenküche in Ton geknetet wurde, sind in Band 60 vorgestellt worden. In diesem Band sind nun Arbeiten von Thomas Stimm zu finden, der kleine Genre- und Familienszenen in Ton formt und farbig glasiert, Objekte von Marianne Eigenheer, die ihre figürliche Zeichensprache aus der Zeichnung in das Relief übertragen, und die Berufsbilder des Austro-Kanadiers Robert Adrian, der die 24 Berufe, die ihm ein wechselvolles Leben zugemutet haben, ordentlich und drollig in Modelliermasse nachformte, vom Hausmann bis zum Hotelportier, vom Aktmodell bis zum Filmstatisten.
Neben diesen Miniaturbildhauern ist eine zweite Gruppe auszumachen, die knapp oberhalb der Miniaturengröße operiert, indem sie Objekte des Alltags sammelt und zusammenkauft, um sie in Lebensgröße in ihre Skulpturen zu integrieren, in den Originalfarben belassen oder nachträglich bemalt. Eine Reihe dieser Objektbildhauer stellte im letzten Jahr Jean-Hubert Martin in der Kunsthalle Bern unter dem Titel Leçons de choses (Sachkunde) vor: den Franzosen Bertrand Lavier etwa, der Alltagsobjekte halbdurchsichtig bemalt und ihnen damit zugleich eine neue Farbe…