Zu diesem Heft
Die erste documenta (1955) galt der in deutschen Breiten damals weitgehend unbekannten Kunst des XX. Jahrhunderts, die zweite (1959) der Kunst nach 1945, die dritte (1964) propagierte Abstraktion als Weltsprache, die vierte (1968) Pop-Art und Fotorealismus, die fünfte (1972) untersuchte Parallele Bildwelten und stellte Individuelle Mythologien vor, die sechste (1977) Skulptur im Außenraum, Malerei über Malerei, Fotografie und anderes mehr. Von der ersten documenta 1955 bis zur sechsten 1977 sind es nur 22 Jahre, die es zu rekapitulieren gilt, aber die in diesem Zeitraum zu verzeichnenden Änderungen sprengen den Rahmen einer an Jahren, aber auch einer an Generationen orientierten Chronologie. Wer dieses Bilderbuch durchblättert, wird kaum glauben können, daß es nur 22 Jahre sind, welche die erste von der sechsten documenta trennen, es scheint, als sei ein halbes Jahrhundert vonnöten, um solch massive Änderungen zu ermöglichen, wie sie an den Kunstwerken, aber auch und vor allem an ihren Betrachtern festzustellen sind. Sind die Kunstwerke wirklich so schnell verstanden und verarbeitet worden, wie sie im Vier-Jahres-Rhythmus von der Kassler Bildfläche verschwanden, wird die moderne Kunst so schnell Geschichte oder kommt sie nur aus der Mode, wie Kritiker konservativen und gesellschaftskritischen Zuschnitts in seltenem Einverständnis monieren?
Im Mittelpunkt dieses Bilderbuches steht nicht die Kunst allein, in gereinigter und asozialer Überhöhung, vielmehr sind die Bilder so ausgewählt worden, daß sich in der Erscheinung der Besucher und im Ritual kulturpolitischer Selbstdarstellung Abnutzungserscheinungen und Alterungsprozesse nachvollziehen lassen, die jenen der Kunstwerke parallel zu laufen scheinen. In dieser Gegenüberstellung von Besuchern und Bildern, von Politikern…