Zu diesem Heft
Eine Fotografie in der Zeit, darunter steht: Christiane F. mit zwanzig Jahren: von ihrem Gesicht ist keine schlimme Erfahrung abzulesen. In der Tat, selbst die heiteren Beruferater in Robert Lemkes Gralsrunde hätten hinter diesem Gesicht keine Autorin gewittert, umso weniger die solch skandalöser Memoiren. Eine solche hat man sich wohl anders vorzustellen, aber wie? Soll sie Krähenfüße um die Augenwinkel und zwei tiefe Magenfalten um schmale Lippen zur Schau tragen, auf welch Letzteren sie, ihrer Verfehlungen eingedenk, unablässig kaut; dahinter womöglich kariöse Zähne und zwischen eingefallenen Wangen und ausgefallenen Haaren ein stumpfer Blick, der auf gedunsenen Tränensäcken ruht? Wenn schon am Beispiel von Christiane F. deutlich wird, wie weit Aussehen und Schicksal auseinanderfallen, was hilft uns dann noch die Höflichkeit mancher Fotografen, die wenigstens die Namen ihrer Modelle den Bildern beigeben? Ich weiß nichts vom Menschen, wenn ich weiß, daß ein Mensch Jacobus heißt, hat Karl Marx behauptet, in diesem Band des Kunstforum kann man feststellen, daß man selbst dann nicht viel von einem Menschen weiß, wenn man weiß, wie er aussieht. Viele der hier vorgestellten Fotografen haben daher gleich darauf verzichtet, ihren Portraits Titel und Namen beizufügen, überall dort, wo es dann Ohne Titel heißen würde, haben wir daher nur den Namen des Fotografen genannt.
Was manche Fotografen ihren Modellen allerdings massiv hinzufügen, sind deren Milieus. Wie um zu kompensieren, daß die Gesichter allein nichts über die Personen aussagen, rückt der Hintergrund in den Vordergrund, gleichgültig ob er nun aus dekorativen Mustern, Wohnungsecken, Interieurs oder Häusern besteht. Aber…