FRIEDRICH KITTLER
Zeitsprünge
EIN GESPRÄCH MIT BIRGIT RICHARD
Birgit Richard: Ich würde gerne anfangen mit der Frage wie Sie Echtzeit definieren?
Friedrich Kittler: Es erklärt sich schlecht, wenn man es definieren soll, da es selbsterklärend ist. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Verarbeitungsgeschwindigkeit von Ausgangsdaten dergestalt, dass kein Stau in der verarbeitenden Maschine entsteht, also mögliche Outputs so schnell produziert werden, dass das nächste Eingangsdatum nicht durchgesteuert werden muss. Ein berühmter Fall ist natürlich das Wetter. Ich habe mir gerade erzählen lassen, dass Richardson, der ein englischer zweitklassiger Mathematiker am Anfang unseres Jahrhunderts war und auch die Numerik der Kriegsführung fast erfunden hat, sich auch mit mathematischen Modellen für Wettervorhersage rumgeschlagen hat und als es noch keine Computer gab, zu dem Ergebnis kam, dass wenn man einige 10.000 Mathematiker in ein großes Schloss sperren würde und alle würden gleichzeitig am Wetter von morgen rechnen, es vielleicht möglich wäre, Echtzeit zu erreichen, bei 10.000 Computern im Sinne von Menschen.
Was würde dann der Terminus der Zeit bedeuten beim Einsatz von Parallelrechnern? Wird dort eine größere Effektivität an Zeit erreicht? Es war doch einer der großen Mythen der Supercomputer Connection Machines im Gegensatz zu den Cray Computern, dass ein Parallelrechner die Probleme eines seriellen Rechners durch parallele Rechenschritte umgehen kann.
Also, zunächst mal ist hier die Frage in dieser ganzen Computergeschichte, ob in dem 10.000 Mathematikermodell eben Parallelität strikt vermieden worden ist und alles wird nacheinander ausgeführt unter der notwendigen Bedingung, dass eben alles schnell läuft und dass die einzelnen Fäden in fast keiner Zeit…