Harald Szeemann:
Zeitinvestition zu knapp
SZEEMANN: Ich bin eigentlich ganz froh, daß ich diese documenta nicht gemacht habe. Wenn ich mir überlege, was ich nicht gemacht hätte: Twombly und Delacroix in diesem Jahr, Hugo, Jarry, Polke, Merz, Fautrier, Skulpturen und Monumente ihrer präzisen Reise.
KUNSTFORUM: Heißt das im Klartext, daß man solche Großunternehmungen sinnvoll gar nicht mehr machen kann? Ist es reizvoller, sich etappenweise vorzuarbeiten?
SZEEMANN: Beides! Wenn eine documenta gemacht wird, dann ist die Zeit dazwischen zu lang und zu kurz. Das ist immer das Dilemma. Wir haben damals irrsinnig lang gewartet. Ein Jahr vorher haben wir diese riesen Liste rausgegeben, wobei wir den Vorteil hatten, daß einfach die Hälfte das überhaupt noch nicht gekannt hat.
Ausstellungen machen ist auch eine Art der langsamen Initiation, damit man am Schluß die richtigen Entscheidungen trifft, ob das nun ein Rot an der Wand ist oder wie die Abstände sind, wie das Bild atmet usw. Ich weiß, daß das bei der documenta schwieriger ist, die Pressionen sind auch so groß, der Druck da fertig zu werden usw. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, daß bei dieser documenta die Angst vor der Kunst größer war, und dann ist natürlich dann auch die Präsentation dementsprechend. Obwohl, das fand ich bei der siebten auch. Diese Konfrontationstour, die ist einem ja nach dem zweiten Stockwerk auch wieder zum Hals herausgekommen. Die investierte Zeit, die dann automatisch neue Überlegungen bringt und eine Neusicht, die schien mir hier auch wieder vernachlässigt.
KUNSTFORUM: Sie waren ja damals selbst auch als documenta-Chef im Gespräch. Gab…