ZEITGENÖSSISCHE JAPANISCHE FOTOGRAFIE
VON SUSANNE BOECKER
1. DIE HÜRDEN DER KLISCHEES
“ANDERS ANDERS”
“… In fact the whole Japan is a pure invention. There is no such country, there are no such people.” Dieses Zitat von Oscar Wilde erfreut sich in westlichen Publikationen über japanische Kunst und Fotografie besonderer Beliebtheit.1 Spielt es doch auf poetische Weise auf jene geheimnisvolle und offenbar kaum zu durchdringende Aura einer Kunstwelt an, die sich vor allem in der Projektion ästhetischer Vorstellungen realisiert und vor deren tatsächlichen Materialisationen der westliche Betrachter gern mit einer gewissen Koketterie in staunend-resignierender Geste seine rezeptorischen Waffen streckt. Doch an Versuchen, auf das unbekannte Terrain der japanischen Fotografie vorzudringen, hat es nicht gefehlt. Einen ersten zusammenfassenden Überblick für die deutschsprachige Leserschaft unternahm Heinz Spielmann mit dem 1984 in der DuMont Fotoreihe erschienenen Band Nr. 5 “Die japanische Fotografie. Geschichte, Themen, Strukturen.” In mühevollster Kleinarbeit hatte Spielmann sich durch die Materie gearbeitet, um dem westlichen Betrachter die große Unbekannte “japanische Fotografie” umfassend und systematisch vorzustellen. In seinem Bemühen um klare Begrifflichkeiten landete der Autor fast zwangsläufig beim Klischee: den “Topoi”, die nach seinen Erkenntnissen alle Themen und oft auch Formen japanischer Fotografie prägen: “Jede als japanisch geltende Ästhetik zielt auf das gleichsam Natürliche.”2 Heute wirkt Spielmanns Versuch der Systematisierung des Exotischen antiquiert. Zum einen hat der kritische Diskurs über Fotografie erheblich an Präzision gewonnen. Zum anderen setzen sich seit den 1980er Jahren zahlreiche japanische Künstler kritisch mit der traditionsorientierten Vergangenheit und der zunehmenden Globalisierung auseinander oder arbeiten bewusst in einer hybriden Sprache, die auf den…