Paolo Bianchi
Zeichen & Wunder
»Niko Pirosmani und die Gegenwartskunst«
Kunsthaus Zürich, 31.3. – 18.6.1995
Centro Galego de Arte Contemporáneo, Santiago de Compostela, 20.7. – 20.10.1995
Kommt am Ende des Jahrhunderts die Zeit der nostalgischen Retrospektiven, der Erinnerung an die vitalen Jahre des Aufbruchs? Besinnt sich die Postmoderne auf die Vorgaben der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, wo nicht nur die Zivilisationsmüden in wilden Utopien schwelgten? “Post this and neo that?” Post-Avantgarde? Die Jetztzeit und die Gegenwartskunst bieten wenig Antworten auf die Orientierungslosigkeit, von der aktuell nicht nur die Generation X, sondern im forsch expandierenden Westen viele Menschen erfasst sind. Oder: Statt nach Antworten auf die Sinnkrise zu suchen, Fragen provozieren? “Fragen”, so Ausstellungsmacherin und “Parkett”-Chefredakteurin Bice Curiger, “die oszillieren zwischen verlorener Unschuld und Sehnsucht nach Unschuld, Hoffnung und gescheiterter Hoffnung, künstlerischem Insidertum und Outsidertum, Einfachheit und Komplexität, Geborgenheit und Ausgesetztsein, Staunen und Schrecken, Realismus und Idealismus, Zeichen und Wunder.” Die Konfrontation zwischen den heraldisch schönen und schlichten Bildern von Niko Pirosmani (1862-1918) und der Kunst der Gegenwart soll unter dem Ausstellungs-titel “Zeichen & Wunder”, ein geflügeltes Wort aus der Bibel, im Kunsthaus Zürich zu diesen Fragen vor- stossen und als Kunstprodukt Assoziationen auslösen.
Die erste Frage lautet: Wer war Niko Pirosmani, der im Osten sehr bekannt, bei uns jedoch weitgehend unbekannt ist oder als naiver, folkloristischer Maler abgestempelt wird? Pirosmani kam in Tiflis als Sohn eines armen Bauern zur Welt. Mit acht Jahren wurde er zum Waisen und kam zu Adligen in die Stadt. Er betätigte sich glücklos in verschiedenen Berufen, bis er…