Fragen zur Zeit
Zauberwort Transparenz
Wie Tintoretto und ein Foto von Barbara Klemm lehren, aufmerksam zu bleiben
von Michael Hübl
Transparenz ist eine hehre Vokabel, die im öffentlichen Diskurs gerne als vertrauensbildendes Signal eingesetzt wird. Doch derlei Signale haben ihre Tücken. Darauf hat bereits Jacopo Tintoretto aufmerksam gemacht. Sein Gemälde „Vulkan überrascht Venus und Mars“,1das um 1555 entstand, ist durch und durch auf Transparenz gepolt. Das beginnt bei der zentralen Szene und setzt sich fort bis in die materiellen Details. Die kompromittierte Liebesgöttin lüftet eigenhändig das dünne Laken, das sie bedeckte, um durch die nackten Tatsachen oder besser: durch die Tatsache ihrer Nacktheit das Misstrauen ihres metallverarbeitenden Gemahls zu zerstreuen. Die Fenster des Gemachs, in dem sich die eheliche Examination abspielt, sind aus klarem Glas und lassen ungehindert Tageslicht in den Raum strömen. In der Fensternische steht ein Gefäß. Auch dieses ist ganz aus klarem Glas, als wollte Tintoretto noch einmal betonen, dass ringsumher Offenheit herrscht und alles darauf angelegt ist, dem Begriff von Wahrheit gerecht zu werden, wie ihn die alten Griechen, Urheber der antiken Götterwelt, verstanden und wie ihn Martin Heidegger in die Philosophie des 20. Jahrhunderts herübergeholt hat: Wahrheit (so die griechische Vokabel) als a-letheia, als das Un-Verborgene, das Enthüllte.
Allerdings: Während Vulkan zwischen den Schenkeln der Venus seine eifersüchtige Inspektion durchführt, hält sich unter einem Tisch sein Nebenbuhler Mars versteckt. Nur dessen helmbedeckter Kopf lugt hervor, liegt jedoch im Dunkel. Kann gut sein, dass ihn ein flüchtiger Betrachter gar nicht wahrnimmt. Mithin lässt sich das Werk des Venezianers als…