MARCUS LÜTKEMEYER
“You know why you’re here today?”
“Der freie Blick – Künstlerische Interventionen in den religiösen Raum”
Thom Barth, Bjørn Melhus, Nicola Stäglich
Martinskirche Kassel, 9.6. – 15.9.2002
Zeitgleich zur documenta 11 sind in der evangelischen Martinskirche in Kassel drei Künstler angetreten, um mit je eigenen Mitteln Interventionen im religiösen Raum zu unternehmen. Mit Blick auf die benachbarte Kulturgroßveranstaltung entfaltet die Thematik der Raumbefragung eine gewisse Brisanz, die von den Kuratoren Andreas Mertin und Karin Wendt sicherlich nicht kalkuliert war – aber wohl schelmisch in Kauf genommen wird. So zeigt der 11. Zug der Documenta in wesentlichen Teilen eine Rückkehr zur eurozentrischen Repräsentationsstrategie des “White Cube”, wobei vor allem die konzeptuelle Ausrichtung verstimmt. Denn das unter globalen Aspekten erdachte Plattformmodell, das Kommunikation auf gleicher Höhe suggeriert, wurde in einen europäischen (Denk-)Raum gerichteter Erwartungen verortet, der aus künstlerischer Sicht weitaus sakraler als irgendein zeitgenössischer Kirchenraum daherkommt.
Dagegen betreibt der “Freie Blick” keine betuliche Verschleifung der unterschiedlichen Betriebssysteme, sondern eröffnet einen subtilen Dialog, ohne das jeweils andere in Frage stellen oder gar kolonialisieren zu wollen. So treffen in der Martinskirche zwei grundverschiedene Raumordnungen zusammen. Denn Thom Barth, Bjørn Melhus und Nicola Stäglich verstehen Raum als ein Medium der Wahrnehmung, als einen leeren Vorstellungsraum, wogegen der religiöse Raum sich als ein komplexer Zeichenkosmos erweist. Dabei basiert er nicht auf einer objektiven Vorgabe, sondern wird unterschiedlich erfahren und gewinnt etwa im sakralen Bauwerk (symbolisch) Gestalt. Und insofern Widerstände und Brüche die Eigenschaften dieses Raumes zu markieren vermögen, zielt das Interesse an einer künstlerischen Intervention folglich auf…