Thomas Zaunschirm
Im Zoo der Kunst II
Seit wann und warum gibt es lebende Tiere in der bildenden Kunst?
Anfang der sechziger Jahre, als erstmals lebende Tiere in der Kunst auftauchen, wird auch in der Verhaltensforschung eine neue Nähe von Mensch und Tier postuliert. Der vermutlich erste künstlerische Versuch von Ay-O in einer New Yorker Galerie kulminierte 1962 in einer dilettantischen Tötung eines Huhnes. Zu diesem Zeitpunkt schloss Konrad Lorenz seine berühmte Analyse über „Das sogenannte Böse“ (1963) ab. Darin zitiert er die alte chinesische Weisheit: „daß zwar alles Tier im Menschen, nicht aber aller Mensch im Tiere steckt.“ Seither wird dieser Unterschied einmal als größer, dann wieder als gering beschrieben. In den letzten Jahren haben sich die Kriterien der Differenz zusehends verwischt. Wenn den Tieren vor allem von Tierschützern die gleiche Würde wie dem Menschen zugestanden wird, wird auch die Bestimmung der menschlichen Identität ungewiss. Auch Evolutionsbiologen erklären das „missing link“ zwischen den Menschenaffen und dem Menschen als ein Hirngespinst. Man fühlt sich unter anderen Vorzeichen an eine Zeit erinnert, in der vor dem Richter die Tiere den Menschen gleich behandelt wurden. Da wurden Hunde wegen Totschlags, Schweine wegen Hostienschändung gehängt, Eselinnen wegen Verführung von Knechten auf dem Scheiterhaufen verbrannt und schwer greifbare Schädlinge, wie Insekten und Ratten, zumindest exkommuniziert. Die Behandlung von Tieren erlaubt Rückschlüsse auf das menschliche Selbstverständnis und seine Projektionen. Aus dieser Sicht wird leichter verständlich, wenn der italienische Philosoph Giorgio Agamben in „Das Offene. Der Mensch und das Tier“ (2002) feststellt, dass „die Zäsur zwischen Mensch und…