Ingo Arend
Wunden der Erinnerung
»Beate Passow und Andreas von Weizsäcker«
Haus der Kunst, München, 5.5. – 28.5.1995
Deutsches Historisches Museum, Berlin, 18.5. – 17.7.1995
Wie sieht die Kunst des Gedenkens aus – 50 Jahre danach? Wer das stille Projekt ästhetischer Trauerarbeit “Wunden der Erinnerung” anschaut, das die Münchener Künstler Beate Passow und Andreas von Weizsäcker nach vierjähriger Arbeit pünktlich zum Mai 1995 beendet haben, dem fallen markante Unterschiede zu dem europäischen Erinnerungsmarathon auf: keine pathetischen Rituale. Keine falsche Versöhnung. Keine Selbsterhebung. Kein Aufrechnen. Kein beredtes öffentliches Vergessen.
Seit 1991 haben Passow und von Weizsäcker in München, Berlin und in acht Nachbarstaaten Deutschlands, allesamt Opfer der Nazi-Aggression, Spuren des Zweiten Weltkrieges – meist Einschußspuren aus Kriegshandlungen – mit der gleichen Glasscheibe markiert. Das Projekt inszeniert Erinnerung als nüchterne, schmerzende Spurensicherung und als Wahrnehmungsschärfung. Fünfzehn Glasscheiben quer durch Europa geben ein Beispiel für die ästhetische Sicherung kulturellen Gedächtnisses.
Die zurückgenommene Grundform der Markierung aus Verbundglas mit den klassischen Abmessungen von ein mal ein Meter geht das Risiko fragwürdiger Form für das Unsagbare erst gar nicht ein. Sie instrumentalisiert Grauen und Opfer nicht als Folie von Formfindung. Die Ästhetisierung ist verhalten, eher funktional, markiert leise Distanz zum Geschehen, grenzt ans Dokumentarische. Und ist doch mehr als die geleistete, nüchterne Chronistenarbeit: Eine Glasscheibe ist an der zerschossenen, dunkelroten Ziegelsteinwand des ehemaligen Salinengebäudes in der Münchener Schellingstraße, mitten im belebtesten Schwabing, montiert. Ein städtischer Knotenpunkt im sozialen Alltag. Daß sie gleich “zeitgeschichtlichen Erfahrungszusammenhang” “visuell-erlebnishaft” erschließt, wie im Katalog behauptet, kann man bezweifeln. Zumindest schafft sie Voraussetzungen dafür.
Durch Ästhetik zur…