Hermann Pfütze
Wolf Kahlen
»Naga-Zyklus 1988 – 1990«
Ruine der Künste Berlin, bis 15.12.1990
Der Ort bewahrt die einladende Freiheit des Ruinengrundstücks. Der Rasen, die Beete, Sträucher und Bäume sind kultiviert, aber nicht kleingärtnerisch zurechtgestutzt. Die Villa ist schußnarbig, und die Simse bröckeln. Über eine schmale Seitentreppe und durch einen engen Flur geht es in den einzigen, haushohen Raum, nur durch Innentreppen und tragende Wände gegliedert.
– Wolf Kahlens “Ruine der Künste” – eine “Zeitskulptur”, wie er sagt. Kahlen zeigt dort “Altölbilder”, die er in den letzten zwei Jahren gemacht hat. Auf dünnes, billiges Saugpapier im Folioformat hat er mit dem Pinsel Striche und Flecken aufgetragen, dünnflüssig und schwarz, gesättigt mit Ruß und Eisenstaub. Nach einigen Tagen hatte das Altöl seinen Formverlauf beendet, ist getrocknet und hat sich auskristallisiert in unendlichen Fraktalen.
Es sind keine geraden, meßbaren, sich schneidenden Linien, sondern richtige Fraktale zwischen der ersten Dimension der Linie und der zweiten der Fläche. Ähnlich den Höhenlinien auf geographischen Karten bildet das Altöl viele winzige Terrassen mit unendlichem Umfang. Aus der Distanz gesehen löst sich das sanfte Schwarz der Zentren, wo das Öl aufgetragen wurde, gegen die Ränder hin auf in lichtes Graubraun. Ein Fleck, so Kahlen, dehnt sich im Lauf der Zeit aus auf etwa das Fünffache im Quadrat. Aus der Nähe, z. B. durch eine Lupe betrachtet, wiederholt sich das: vielfach gebrochene Ränder, aus denen winzige Ölspuren noch einmal herausgelaufen sind und weitere, zarte Fraktalformen gebildet haben.
Diese Bilder sind reine Form. Selbst an Stellen, an denen sie etwas Figürliches oder einen Lichteinfall…