Florian Rötzer
Wissenschaft und Ästhetik
»Betrachte Himmel, Erde, Meer und alles, was da glänzt und kreicht
und fliegt und schwimmt: alles hat Formen, weil es Zahlen hat;
nimm sie fort und alles wird zunichte …
und frage, was im Tanz ergötzt, antworten wird die Zahl:
Siehe, ich bin’s. Betrachte die Schönheit des geformten Körpers:
Zahlen sind im Räumlichen festgehalten. Betrachte die Schönheit
der Bewegung im Körper: Zahlen gewinnen Leben im Zeitlichen.«
(Augustinus)
Man möge mir nachsehen, daß ich mit einigen sehr allgemeinen Bemerkungen die unliebsame Aufgabe angehe, eine Einleitung zu Gesprächen zu schreiben, die ich mit Wissenschaftlern, also mit Menschen geführt habe, deren Arbeitsbereich mir nicht nur fremd ist, sondern deren theoretische Grundlagen ich auch oft nicht ganz verstehe. Der Graben zwischen den Geistes- und Naturwissenschaftlern ist leider immer noch tief, auch wenn es von beiden Seiten vermehrt Bemühungen gibt, diesen ohne Reduktion auf der einen oder anderen Seite zu überbrücken. Das mag aus der Akzeptanz des erkenntnistheoretischen Zirkels entstehen, der bei jeder wissenschaftlichen Erklärung auftritt, die aufs Ganze geht.
Die Wissenschaften transformieren allmählich das herkömmliche Bild eines statischen Universums in das eines sich selbst organisierenden und so geschichtlichen, das auch den menschlichen Beobachter umgreift, der ein spätes Ergebnis des Urknalls und dessen Gehirn mit seinen Milliarden von Neuronen eines der komplexesten Systeme der Natur ist. Erkenntnisse werden von Gehirnen geschaffen, die etwa auf der Biochemie, dann auf der Chemie und schließlich auf der Physik beruhen. Physik aber ist ohne Logik und Mathematik nicht möglich, die wiederum Erzeugnisse des menschlichen Gehirns sind – ebenso wie Bilder, Musik, Architektur…