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Titel: Insel Austria · S. 254 - 261
Titel: Insel Austria , 1987

Liesebeth Waechter-Böhm
Wien – eine Metropole?

In bezug auf den Umfang und die Variationsbreite des seit Jahrzehnten festgeschriebenen Wien-Vokabulars in der internationalen Berichterstattung hat der aktuelle Rezeptionstrend zweifellos etwas gebracht. Immerhin rangieren heute in einer – mühelos zu denkenden – alphabetisch/lexikalischen Wortschatz-Auflistung zum Beispiel Abgründigkeit und Aktionismus noch vor dem Apfelstrudel, und an Heuriger schließen nun Hollein und Hundertwasser-Haus nahtlos an. Nicht ganz so positiv sind hingegen jene prägnant-suggestiven Formulierungen angewandter Sprachkunst zu beurteilen, die von uns selbst und von anderen den diversen Wien-Manifestationen – seien es Ausstellungen, seien es Aufsätze – vorangestellt worden sind. Die simple Aneinanderreihung einer beliebigen Auswahl daraus ergibt in etwa folgenden Text: »Der Zeitgeist tanzt« im »Wiener Frühling«. Am »Weltpunkt Wien« herrscht »Kaiserwetter für die Kunst«. »Zwischen Traum und Wirklichkeit« findet das »Experiment Weltuntergang« statt und »das Kunst-Wunder von Wien« passiert. »Resch, fesch und resolut«!

Angesichts solcher Verhältnisse mag es dem Fremden plausibel sein, daß der Eingeborene ob der Aufforderung, etwas über seine eigene Stadt zu schreiben, Krankheitssymptome zeigt: ein hysterisches Zittern der (Schreib)Hand, panische Gedanken und – zumindest temporär – überhaupt Sprachverlust. Dieses Jubelpanorama aus repräsentativem Wunschbild, das wir selbst nach außen senden, und aus gewünschtem Repräsentationsbild, das in den letzten ein, zwei Jahren von außen an uns zurückgemorst wird, schnürt uns langsam aber sicher ein wie die Ringstraße und der Kai die Wiener Innenstadt. Ein Bild, dem auch insofern seine beklemmende Richtigkeit innewohnt, als für diese gekrümmte und vielfach gebrochene Straßenanlage bekanntlich eines charakteristisch ist: einen freien, großzügig in die Ferne schweifenden Blick läßt sie…


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