Rudolf zur Lippe:
Wiedergewinnung einer ästhetischen Lebensform
Ein Gespräch mit Florian Rötzer
F.R.:Gegenwärtig gibt es eine auffällige Zuwendung seitens der Philosophen zur Ästhetik und zu den Künsten. Die Kunst scheint eine Art von Ersatz darzustellen, die das auffüllt, was mit anderen Mitteln nicht zu klären ist, die vielleicht auch eine begriffliche Leere auffüllen soll. Zur gleichen Zeit schwindet die Orientierung der Philosophie an der Gesellschaftstheorie, also etwa die Anlehnung an die Soziologie oder Ethnologie, an die Naturwissenschaften im Sinne einer Wissenschaftstheorie oder an die Erkundung der Sprachformen, wie sie etwa der analytischen Philosophie eigen ist. Worauf ist es zurückzuführen, daß das Ästhetische für die Philosophie wieder an Bedeutung gewonnen hat?
R.z.L.: Die Kunst selber hat sich mindestens durch Jahrhunderte hindurch daran gewöhnen müssen, immer eine Ersatzfunktion auszuüben. Das ist nichts Neues. Vor etwa 20 Jahren ist das noch einmal sehr stark betont worden, insofern die Studentenbewegung ein Motiv aufgenommen hat, das zwar auch schon älter war, ihr aber durch die Kritische Theorie zuzukommen schien, nämlich die Auflösung der Kunst, aber auch der Philosophie in einen vernünftigen, die menschlichen Vermögen entfaltenden Alltag. Ich habe dem schon damals durchaus mißtraut, weil die Kunst und – das wissen wir inzwischen deutlicher – der gesamte Bereich des Ästhetischen genauso wie die Philosophie so hoch entwickelt sind und einen so schweren Stand gegenüber noch stärker entwickelten Gebieten unseres gesellschaftlichen Lebens haben, daß sie auch eigene Sachwalter brauchen. Sei es nur, um die Geschichte zu erinnern, die der Gegenwart zugrundeliegt und in sie eingegangen ist, wird das wohl immer…