Heinz Thiel
Wie man die Mechanik der Ehrungen bewegt
Anselm Kiefer war entgegen seinem Ruf aufgeräumt und ließ sich durchaus vom Publikum bedrängen. Er signierte Plakate mit Konzentration und Ausdauer. Eines nach dem anderen wurde, um die unbedruckte Fläche freizulegen, von Inge Langner angehoben, der besänftigenden Seele im hektischen Kaiserring-Trubel. Während des mechanischen Duetts von Anheben und Signieren erzählte sie: “Bei Gerhard Richter vor zwei Jahren habe ich die Plakate genauso gehalten. Und Richter signierte zügig: Gerhard Richter, Gerhard Richter, Baselitz, Baselitz, Joseph Beuys, Baselitz, Beuys.” Eine Persiflage auf die Austauschbarkeit der Namen im immer gleichen Ehrungsritual und die Sucht der Besucher, eine “Reliquie” davon mitzunehmen. Das schelmische Spiel hat Inge Langner nicht bemerkt. Gut möglich ist, daß es vor Ort niemand gemerkt hat, denn so mechanisch wie der Künstler signiert, greifen die Interessenten zu den Blättern. Ich stelle mir (mit einer Mischung aus Amusement und Neid) die entsetzten Gesichter derjenigen vor, die zu Hause den prestigeträchtigen Wandschmuck entrollten und unter den Farben von Richter den Namen von Beuys entzifferten. Wer versteht schon Spaß, wenn es um so eine ernste Sache wie einen Kult(ur)-Star geht. Die 50 DM zahlt man ja nicht eigentlich für ein Poster, sondern für das Gefühl, an einer besonderen Veranstaltung mit dem besonderen Glück teilgenommen zu haben, den Künstler um die persönliche Widmung “für Elsbeth, das ist meine Frau” zu bitten. Es ist schließlich der einzige Kontakt, den die meisten Besucher mit dem Geehrten haben – Privilegierte sind ausgenommen, aber rar: Die dürfen ihm beim Kaisermahl gegenübersitzen,…
