Martin Blättner
Werner Heldt (1904-1954)
Kunsthalle Nürnberg 2.12.1989 -11.2.1990
Kunsthalle Bremen 20.5.- 8.7.1990
Berlinische Galerie 23.2.-15.4.1990
Endlos reiht sich die Menschenmasse in monotoner Strickmusterform, den Platz zwischen den Häusern randvoll füllend. Nur Fahnen und Flaggen ragen aus dem Meer von Köpfen als Nullen. Ein Abgrund tut sich unter dem arglos gezogenen Kringelband auf; die aggressive Macht der bedrohlich aufgewühlten Masse läßt sich an der Chiffre spitzer Zacken in der Nullenflut ablesen: Die Menge zeigt Zähne, hinter der Maske der Anonymität fühlt sich der einzelne als Partikel des Ganzen stark. “Aufmarsch der Nullen” (1933/34) ist wohl die einprägsamste Zeichnung des Berliner Stadtmalers Werner Heldt, die ihn über Berlin hinaus bekannt gemacht hat. “Krisen, Revolutionen, Kriege sind das Gros der ins Kollektive verschobenen Psychopathien, Psychosen, Selbstmorde der einzelnen Gescheiterten: der Massenstücke.” Mit der grundsätzlichen Schrift “Einige Beobachtungen über die Masse” formulierte Heldt skeptische bis polemische Distanz aus der Sicht des bewußten Einzelgängers. “Alleinsein ist gegenwärtig nicht in Mode” heißt es in diesem Aufsatz, der mit analytischem Weitblick die pathologische Kollektivsituation in einer Zeit der Massenhysterie vorahnt. 1927 wurde das Schriftstück begonnen und immer wieder überarbeitet. Held, der 1933 nach Mallorca floh, konnte den Text erst 1935 zum Abschluß bringen. 1936, nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges, kehrte er wieder nach Berlin zurück, fand Unterschlupf bei den Künstlern Käthe Kollwitz und Werner Gilles, konnte jedoch – von Depressionen und Angst gelähmt – künstlerisch bis Kriegsende nicht mehr viel hervorbringen.
Den eigentlichen künstlerischen Durchbruch hatte Heldt erst nach 1945, als sich die der Zeit vorauseilenden Visionen des Künstlers bewahrheiten sollten….