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Titel: Kunsturteil · von Ludwig Seyfarth · S. 102 - 111
Titel: Kunsturteil , 2015

Wenn alles zum Konzept wird

Zur Inflation eines Begriffs, der nur scheinbar etwas klärt
von Ludwig Seyfarth

Die analytische Befragung des Bild- und Sprachgebrauchs durch amerikanische Konzeptkünstler der 1960er Jahre stieß zunächst bei vielen Kollegen auf Ablehnung. Das sei doch keine „richtige“ Kunst, behauptete etwa der Maler Al Held: „All conceptual art is just pointing at things“. 1 Helds Urteil inspirierte John Baldessari 1969 zu einer höchst ironischen Antwort, die er in dessen Medium, der Malerei, ausführte. Es begann damit, dass Baldessari mit dem befreundeten Jazzmusiker George Nicolaides durch die Stadt ging und ihn dazu aufforderte, mit dem Finger auf irgendwelche Alltagsdinge zu zeigen, die ihm interessant erschienen, wovon Baldessari jeweils ein Foto machte. Dann beauftragte er vierzehn Amateurmaler, deren Werke er auf Marktständen auf dem Land gesehen hatte, nach diesen Fotos Gemälde herzustellen.

Dass die Hand mit dem zeigenden Finger zum integralen Bestandteil des Bildes wird, ist die passende Antwort auf die Auffassung, dass „pointing at“ selbst keine Kunst sei, sondern bloß Nachdenken über Kunst. Und gleichzeitig steht es für die Ablehnung bewusster „Kunstfotografie“, die alles so sorgfältig inszeniert wie auf einer Theaterbühne oder einem Filmset. Ein Finger, der ins Bild gerät und nicht zum „eigentlichen“ Bildmotiv gehört, ist ein üblicher „Fehler“ bei Amateuraufnahmen, den Baldessari in den Commissioned Paintings gleichsam nobilitiert. Gleichzeitig veranschaulicht er den indexikalischen Verweischarakter, den die Fotografie aus semiotischer Sicht besitzt.

WORAUF WIRD VERWIESEN?

Rosalind Krauss’ zweiteiliger 1977 in der Zeitschrift October erschienener Essay Notes on the Index lieferte entscheidende Stichworte für einen weitreichenden Diskurs, der den indexikalischen Charakter der…


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