Jan Thorn Prikker
WELTBILDER – Gesellschaftsporträts von August Sander und Diane Arbus
“Unter der Photographie eines Menschen ist seine Geschichte wie unter einer Schneedecke vergraben.” (Kracauer)1
I.
Gerne sehe ich mir Bücher mit Bildern an. Bücher voller Fotografien. Bilderbücher. Aber regelmäßig klappe ich sie später mit einem Gefühl von Müdigkeit zu. Was habe ich eigentlich gesehen? Oft weiß ich darauf keine Antwort. Viel und nichts. Unbehagen, zur bloßen Faszination verführt worden zu sein, zum blinden Gefallen, trübt die Freude, die am Betrachten der Bilder unzweifelbar auch haftet.
Versuche ich, mir die Gründe der Müdigkeit zu erklären, rangiert unter den mir verständlichsten ihre Fülle, Vielzahl. Gleich danach aber kommt ihre Fremdheit. Bilder sind verschlüsselte Botschaften. Sie sagen etwas, ohne etwas zu sagen. Sie lassen sich gerne mißverstehen. Denk Dir Dein Teil. “Das bunte Arrangement der Bilder, ihr Nebeneinander, schließt systematisch den Zusammenhang aus”2 , in dem sie stehen und den ich suche. Mit ihrer Flut, der Massenhaftigkeit ihres Auftretens aber wollen sie diesen erkennbaren Zusammenhang sabotieren. Leicht wird so aus der erzwungenen Kapitulation Wut, aus der Unterhaltung Anstrengung. Oft verliere ich wütend, angestrengt den Kampf um ihre Geschichte. Dann lege ich die Bilderbücher enttäuscht aus der Hand.
Geschichte sehen lernen, das ist der Wunsch, den Bilder in mir wecken und dessen Erfüllung sie verhindern wollen. August Sander und Diane Arbus haben mit ihren Fotografien diesen Wunsch so stark geweckt wie wenige andere Fotografen. Vielleicht deshalb, weil ich meinte, bei ihnen eine Chance zu haben zu erkennen, was ihre Bilder sagen, indem ich sie ansehe. Ihre Bilder…