Welt-Moral
»Moralvorstellungen in der Kunst heute«
Kunsthalle Basel, 30.4. – 31.7.1994
von Lutz Windhöfel
Seit Erziehungswissenschaft und junge Pädagogik im 18. Jahrhundert den Begriff “Moral” in das geistige Netzwerk der westlichen Zivilisation speisten, ist sie diesen nicht mehr losgeworden. Daß der Mensch des Menschen Wolf sei, mahnte schon die Antike. Und die Moderne war – oder ist – das umfassendste Modell, um aus der Spezies der höchsten Säuger wirklich einen “homo sapiens”, einen wissenden Menschen, zu machen. Als der schwedische Arzt und Botaniker Carl von Linné den “homo sapiens” während der Aufklärung kreierte, bedeutete dies nicht mehr als jene Stufe, die uns vom Menschenaffen unterscheidet. Der Mensch als Kategorie der Naturwissenschaft. Und glaubt man der bösen bis bitterbösen Ironie Mike Kelleys, die dieser im Oberlichtsaal der Kunsthalle Basel in Form einer unscheinbaren Bürolandschaft für die Ausstellung “Welt-Moral” installierte, so hat sich seither verdammt wenig geändert. Allen Wünschen in der Philosophie zum Trotz.
Mit Beiträgen von 28 Künstlerinnen und Künstlern stellt Kunsthallenkonservator Thomas Kellein mit der Moral ein Phänomen zur Diskussion, daß man auch die Frage nach der “aesthetical correctness” der bildenden Kunst nennen könnte. Barbara Kruger, die mit Kelley, Gerhard Merz oder der jungen Schweizerin Pippilotti Rist für das Projekt “in situ” arbeitete, sagt dazu ein offenes “Ja”. Sie benennt das Böse: “Meine Leute sind besser als ihre Leute. Wir sind mächtiger, intelligenter, schöner, moralischer und sauberer. (…) Unsere Scheiße stinkt nicht, und wir haben alles erfunden”. Unter der Eingangsdecke des größten eidgenössischen Instituts für wechselnde Kunstausstellungen kommt dem Satz der 49jährigen New Yorkerin…