Stephan Schmidt-Wulffen
»Was hätte van Gogh gemalt, wenn er täglich drei Stunden ferngesehen hätte?«
Mit dieser seltsamen Frage wurde 1998 eine Pressemitteilung des Kunstvereins in Hamburg eröffnet. Schon die Frage setzt zwei unterschiedlichen Zeitebenen in eins, aber nicht nur das. Denn Van Gogh ist für den Maler selbst nur eine Person im künstlerischen Rausch (wenn wir den Chroniken glauben dürfen), während sich für den Kunstfreund der Gegenwart sich mit dem Namen Van Gogh ein ganzer Komplex vergangener und gegenwärtiger Kunst verknüpft. Zum einen das Urbild eines Künstler, dessen Werke in Reproduktionen heute Küchen- und Bürowände schmücken, zum anderen die Spekulation auf höchste Werte, die auch wieder verfallen können. Fernsehen kannte Van Gogh noch nicht, und ob er es in vergleichbaren ökonomischen Umständen heute kennen würde, bleibt fraglich. Aber der Zeitgenosse erfährt heute im Fernsehen über die Spekulation im Falle vergangener Kunst mehr als über die eigentlichen Produzenten. Das sagt etwas aus über das Verhältnis zu künstlerischer Produktion, aber auch die Verschiebung von Chronologien. Allenfalls zu Jubiläen von berühmten Künstlern gerät die Geschichte wieder in ihr normales Bett, ansonsten aber regiert jene Nichtlinearität, die Geschichtsschreibung heute zu einem Vabanquespiel werden lässt. An dieser Stelle ließe sich nur noch mit der Bemerkung Heinrich von Kleist antworten: “Vielleicht, dass es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zweideutiges Spiel an der Manschette, was in Frankreich den Umsturz der Ordnung der Dinge bewirkte.”1 Das ist jene Katastrophe, von der die Katastrophentheorie spricht. Und diese Katastrophe muss keineswegs katastrophal aussehen im gewohnten…