Viola Michely
Was bedeutet der Raumverlust in Jasper Johns’ zeitgenössischer Malerei?
»Zur Rezeption neuerer Werke«
Museum Ludwig, Köln, 8.3. – 1.6.1997
In letzter Zeit treten Retrospektivdarstellungen von Künstlern gehäuft auf, deren Bild durch Erfolge meist in den 60er Jahren geprägt ist – bei Johns die Zielscheiben- und Flaggenbilder. Der Retrospektivgedanke drängt sich angesichts der herannahenden Jahrtausendwende geradezu auf, stellt aber die Kunstkritik vor ein Problem.
Neuere Arbeiten der ausgestellten Künstler stoßen meist auf Befremden und führen zu einer fehlenden inhaltlichen Auseinandersetzung. Dient die Retrospektive nur dazu, das geprägte Bild des ausgestellten Künstlers zu festigen? Die Schwierigkeit liegt auch in der Frage, was bewertet werden soll, die Entwicklung oder das jeweilige Verhältnis zum Zeitgeist? Besteht überhaupt die Möglichkeit, so etwas wie eine kunstgeschichtliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu benennen, Themen oder Phänomene zu erspüren, Verbindendes herauszukristallisieren und damit einen Standpunkt der Auseinandersetzung zu beziehen?
Eine Annäherung an Jasper Johns’ zeitgenössische Malerei bedeutet, den informationsreichen Katalog, das erworbene Vorwissen und etwaige Bewertungen beiseite zu legen und die Retrospektive in einfacher Betrachtung hinten zu beginnen.
Die letzten Bilder entstehen in paarweiser, leicht variierter Ausführung, jeweils in Ölmalerei und Enkaustik. In dem Bild “Mirror’s Edge” von 1992 sind mehrere Bildebenen übereinander geklebt dargestellt: Der Grundriß des großväterlichen Hauses, den Johns erst nach dem Abriß aus dem Gedächtnis rekonstruierte; eine in die Kreuzform transponierte Variante seines Jahreszeiten-Zyklus von 1985/6 mit verschiedenen kunsthistorischen Zitaten; eine farblich bearbeitete Konturzeichnung der Soldaten aus der Auferstehung des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald; zwei Drucke von Barnett Newman; ein Vase-Profil-Vexierbild und eine an photographische Aufnahmen…