Fragen zur Zeit
Von Monteverdi aus auf „avenidas“ und Hylas geschaut
Einige Nachbemerkungen zum Streit um die Venus von Willendorf, um John William Waterhouse und Eugen Gomringer
Michael Hübl
Ein Skandal sondergleichen. Ein einziges andauerndes Anschauen, fortgesetzter Blickkontakt, fortwährendes Abtasten des Gegenübers mit den Augen, immer und immer wieder in unablässiger Steigerung. Skrupellose Machtgier und berechnende Geilheit gehen eine Verbindung ein und können nicht ab vor Glück. Sie: eine Ehebrecherin, die sich lieber mit dem mächtigsten Mann in der Stadt vergnügt, statt darauf zu warten, dass ihr Angetrauter von seinem Militäreinsatz zurückkehrt. Er: bereit, über Leichen zu gehen, um diese eine Frau ganz für sich zu besitzen. Fast eine Mafia-Geschichte. „Pur ti miro, pur ti godo” singen sie gemeinsam, in permanentem Hin-und-Her, wie um sich voller Entzücken immer weiter in ihre Verliebtheit hineinzusteigern, und nochmal und nochmal: „Pur ti miro, pur ti godo“ – „Ich schau Dich nur an, und es ist die reine Freude“. Er heißt Nero, sie Poppea, weibliche Haupt- und Titelfigur von Claudio Monteverdis letzter Oper, 1642 uraufgeführt am Teatro SS Giovanni e Paolo in Venedig.
„Pur ti miro, pur ti godo“ gilt als eines der schönsten Liebesduette der Musikgeschichte. Unfassbar. Zwei fiese Figuren, brutal und erbarmungslos werden am Ende des Bühnenwerks zum Inbegriff entfesselter, in höchste Höhen entrückter Glückseligkeit. Hier Nero, der schier in einen Freudentaumel gerät, als er die Nachricht erhält, dass Seneca seinem, des Kaisers Befehl nachgekommen ist und sich das Leben genommen hat. Dort Poppea, die Nero zu Senecas…