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Titel: Theorien des Abfalls · von Janine Schiller · S. 106 - 117
Titel: Theorien des Abfalls , 2003

JANINE SCHILLER
VON DER WERTIGKEIT DES WERTLOSEN

FELDSTUDIE ÜBER ALLTAGSDINGE IM BROCKENHAUS

In unserem Alltag1 sind wir von einem Universum von Dingen umgeben, die wir kaum je richtig beachten. Diese Dinge prägen uns unmerklich. Sie gehören irgendwie zu unserem Leben und zu unserer Gegenwart. Sie erscheinen uns kaum als aufhebenswert, sondern landen irgendwann im Abfall. Es gibt jedoch einen Ort, an dem uns diese unscheinbaren Sachen wieder begegnen: im Brockenhaus. Dort wird “Abfall”2, aus dem Nützlichkeitskreis herausgefallener Hausrat, gesammelt und präsentiert. Mit dem Verlust des Gebrauchswertes verliert der Gegenstand eigentlich zugleich Funktion und Bedeutung, die Dinge bleiben in ihrer schieren Materialität zurück. Doch im Brockenhaus bekommen diese Gegenstände plötzlich einen Verweischarakter, sie können Assoziationen und Erinnerungen auslösen. Sie sind Vergleichsobjekte für den eigenen Alltag und geben Auskunft über den Umgang mit Sachen. Ein einzelner Gegenstand hat nun die Kraft, diesen fliessenden Wandel der Alltagsdinge im Brockenhaus – wo gleiche Gebrauchsstücke in Variationen nebeneinander gereiht stehen – in einem Geistesblitz sichtbar zu machen.

Das Brockenhaus ist das Abbild eines Querschnitts durch die in einem bestimmten kulturellen Raum befindlichen Dinge. Es hält das Fliessende und Vergängliche für einen Augenblick fest. Es zeigt das, was sonst in der Zeit untergehen würde. Es ist eine Schnittstelle zwischen dem Gestern und Heute. Unser Alltag wird von dinglichen Phänomenen der industriellen Massenkultur geprägt, die Teil der modernen Lebenswelt sind. Darauf antwortet – als Echo auf die Wegwerfgesellschaft und zugleich kulturelles Phänomen – das Brockenhaus. Die Gegenstände dort sind auf eine Art Waisen, was in sie hinein gedeutet wird, hängt…


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