Von der Unvermeidlichkeit des Ästhetischen
Florian Rötzer sprach mit Odo Marquard
Odo Marquard ist gegenwärtig wohl einer der populärsten deutschen Philosophen. Aus seiner konservativen Grundstimmung heraus hat er immer wieder, schon allein mit seinen Titeln, aktuelle Stichworte zur geistigen Lage der Zeit geprägt, die oft überraschend mit Überlegungen aus ganz anderen Lagern konvergieren. Marquard ist, man weiß es, ein Skeptiker, der sein Element in der Abweisung von Theorien und Bewußtseinshaltungen hat, die mit der einen Wahrheit ernst machen wollen und alles Bestehende vor den Gerichtshof der Vernunft ziehen. Verpflichtet auf Rechtfertigung ist für ihn in erster Linie der Veränderer, während der Skeptiker, mißtrauisch gegenüber absoluten Prinzipien und Orientierungen, konservativ in dem Sinne ist, daß er die gewachsenen Traditionen und kulturellen Üblichkeiten verteidigt. Da man, ohne gefragt zu werden, in diese Üblichkeiten hineingeboren wird, wir ganz allgemein mehr durch unsere Zufälle als durch unsere Leistungen geprägt werden, ist es vordringliches Ziel des Skeptikers, sich mit dem Leben unter kontingenten Bedingungen, also als Schicksal, auszusöhnen.
Heute ist der skeptische Lebenskünstler paradoxerweise ein Bewahrer der Modernität, also auch ein Bewahrer von deren kontinuierlicher Wirklichkeitsveränderung etwa durch technische Modernisierung. Arbeitsteilige Pluralität ist seine der Demokratie, aber auch dem kapitalistischen System verpflichtete Utopie, die versöhnlich gegen Heils- und Katastrophenerwartungen ausgespielt wird. Abgeschreckt von den großen Erwartungen und Utopien, plädiert Marquard, ein Moralist, dessen Stärke nicht in der Ausführung einer konsistenten Theorie, sondern in der Formulierung von Maximen der Lebensführung in der für ihn unhintergehbaren Situation nicht-idealer Bedingungen und in der Erzählung von geschichtsphilosophischen Short stories liegt, für eine…