Paul Virilio
Von der Perversion zur sexuellen Diversion
Mit der Cybersexualität läßt man sich nicht mehr scheiden, man koppelt sich ab. Die propriozeptive Wirklichkeit wird plötzlich uneigentlich, alles spielt sich in einer wechselseitigen Entfernung ab.
So tritt eine diskrete, flüchtige Verbindung auf den Plan, die nicht mehr auf Anziehung basiert, sondern auf Zurückweisung, auf das Abstoßen der Körperteile der sich Begegnenden. Dank der Kopulation von denjenigen, die schon nicht mehr “verbunden” sind, wird die Ästhetik des Verschwindens ihrerseits von der Ethik des notwendigen Verschwindens des “Nächsten”, des Ehegatten, des Geliebten zugunsten desjenigen “Fernen” ausgelöscht, den Nietzsche uns gestern erst zu lieben empfahl.
Nach der Verführung der Simulation ist das die Enttäuschung der Substitution: das weibliche Objekt aller Begierden und aller Phantasmen macht plötzlich der Objekt-Frau Platz. Diese Umkehrung, Symptom eines großflächigen Aufflackerns der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit, ist nur das Ergebnis einer Fahrt durch die “Zeitmauer”, durch jene Zeitgrenze der Lichtgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen, die nicht nur die auf das Lebendige, sondern auch auf die ganze Materie, die ganze wirkliche Präsenz des Anderen bezogene Geschwindigkeit zugunsten eines panischen Phänomens der Trennung im Wert herabsetzt. Von deren Ankunft kündet bereits die wachsende Menge der Scheidungen und die exponentielle Zunahme der Familien mit nur einem Elternteil. Wenn man das virtuelle Wesen – den Fernen – dem wirklichen Wesen – dem Nächsten – vorzieht, dann verwechselt man den Gegenstand mit seinem Schatten, dann zieht man die Darstellung, den Klon, einem substantiellen Wesen vor, das einen behindert und das man buchstäblich in den Händen hält1, einem Wesen aus…