Antoni Tápies
Von der Erforschung der Materie zur transzendenten Dimension der Kunst
Carlos Oliveira sprach mit dem Künstler anläßlich seines 70. Geburtstages (23.12.93)
Carlos Oliveira: Señor Tàpies, man kann in Ihrem Werk sehr deutlich zwei Produktionsphasen unterscheiden. Am Anfang stand bei Ihnen die Erkundung der Materie im Mittelpunkt; in den letzten Jahren aber ist für Sie die transzendente Dimension der Kunst immer wichtiger geworden; das zeigt sich in Ihren jüngeren Werken, aber vor allem in Ihren theoretischen Schriften, Interviews und öffentlichen Stellungnahmen. Diese Veränderung überrascht viele Menschen heute. Man könnte die zwei Phasen Ihrer künstlerischen Produktion aber auch als Einheit betrachten, als Ergebnis der inneren Entwicklungslogik Ihres Werks. Könnten Sie zunächst erklären – bevor Sie auf den zweiten Teil der Frage eingehen -, weshalb die Reflexion über die Materie für Sie von solch zentraler Bedeutung immer war und weiterhin ist?
Antoni Tàpies: Das war eigentlich das Ergebnis der damaligen Zeit. Ich wuchs in den dunkelsten Momenten der Diktatur auf, unmittelbar nach Beendigung des Bürgerkrieges, als sehr viele Menschen das Gefühl hatten, zwischen vier undurchdringbaren Wänden eingeschlossen zu sein. Aber das ist lediglich die soziologische, politische Dimension meiner Erforschung der Materie; es gab auch ein künstlerisches Motiv dafür, nämlich die Ablehnung der akademischen Kunst, die damals, als ich anfing, wieder auf den Kampfplatz zurückkehrte. Eines der Mittel, um die herkömmliche künstlerische Sprache zu überwinden, war die Verwendung ungewöhnlicher Materialien.Mein Anliegen war vor allem die Hinterfragung der traditionellen Raumdarstellung und der Konzeption des Bildes als Fenster. Ich wollte das Bild in ein materielles Objekt…