Von der Ausgrabungsstätte zum Archiv-als-Äther
Notizen zum Archivbegriff
Von Barbara Hess
„Nichts ist weniger sicher, nichts weniger eindeutig heute als das Wort Archiv“, bemerkte Jacques Derrida gegen Ende seines Buchs Mal d’Archive (1995). Entsprechend zahlreich sind die Positionen in der kulturwissenschaftlichen Debatte über das Archiv als Institution und als Metapher, eine Debatte, die sich seit Jahrzehnten kontinuierlich verzweigt. Von dieser Archivkonjunktur zeugt der „archivische Impuls“, den Hal Foster in künstlerischen Positionen der 1990er Jahre erkannte, ebenso wie die „Inflation des Archivarischen“, die Knut Ebeling und Stephan Günzel in verschiedenen Bereichen der Kultur feststellten.
Die Psychoanalytikerin und Kulturkritikerin Suely Rolnik diagnostizierte anlässlich der dOCUMENTA (13) eine „Archivmanie“ der globalisierten Kunstwelt, und die Bibliothekarin Julia Fertig warnte gar vor der „Archivfalle“.1 Schon die drei Adjektive, die sich im Deutschen vom „Archiv“ herleiten, deuten auf die Ausdifferenzierung des Archivdiskurses hin: „,archivisch‘ bezieht sich auf das Archiv als Institution oder das Archivwesen im allgemeinen, ‚archivalisch‘ bezieht sich auf das Archivgut selbst […], ‚archivarisch‘ bezieht sich auf die Tätigkeit in Archiven“.2
Zum Wandel des Archivbegriffs
Der Wandel des Archivbegriffs ist eng verknüpft mit der Entwicklung der postindustriellen Informations und Wissensgesellschaft. Befeuert wurde die Diskussion insbesondere seit den 1990er Jahren durch die Öffnung staatlicher Archive in der Nachwendezeit, durch die Intensivierung der Erinnerungskulturforschung und die digitale Transformation.
So steht das Archiv in den aktuellen Debatten weniger für einen festen Aufbewahrungsort von Archivgut, sondern eher für flexible „Wissensnetzwerke“. Archive sind „an ihren Grenzen in Bewegung geraten und dabei zugleich konkreter und abstrakter geworden“, wie die Herausgeber*innen des Bandes An den Grenzen der Archive…