VOM UMWEG ÜBER CHINA
EIN GESPRÄCH MIT DEM FRANZÖSISCHEN PHILOSOPHEN UND SINOLOGEN FRANÇOIS JULLIEN
Amine Haase: Kann das “Chinesische Jahr in Frankreich” ein Beitrag zu dem sein, das Sie “Universalität” nennen, im Unterschied zur “Uniformität” einer globalisierten Welt?
Ich denke schon, dass dieses “Chinesische Jahr in Frankreich” tatsächlich diese Wirkung haben könnte. Und das durch den kulturellen Rahmen und die daraus sich ergebenden Überlegungen die Universalität, mit der wir uns in Europa auseinandersetzen, auf den Prüfstand zu stellen. Die europäischen Geisteswissenschaften – wie zum Beispiel die Literatur – haben ja bereits “universelle” Erfahrungen gemacht. Und das ist eine gemeinsame europäische Erfahrung. Was mich als Philosoph, der den “Umweg über China” nimmt, interessiert, ist die Tatsache, dass die japanische, die chinesische, also die fernöstlichen Kulturen, die einzigen großen Kulturen sind, die sich unabhängig von Europa entwickelt haben, und die genauso klar, ausgearbeitet, in Texten erfasst sind wie die europäischen Kulturen. Ich spreche von Kulturen, im Plural, denn die Kultur, im Singular, ist fundamental, von ihr gehen die Kulturen – im Plural – aus. Ich denke, dass die fernöstlichen Kulturen ein neuer Prüfstein für die europäische Konzeptualisierungen ist, zumindest, wenn man in einer “universellen” Zeit sich dieser Erfahrung bewusst wird.
Aber ist das so?
Da bin ich mir nicht so sicher. Es kann sein, dass dieses “Chinesische Jahr” zu grundsätzlichen Überlegungen führt. Ausgangspunkt ist vielleicht die Sehnsucht nach Exotischem, nach “dem Anderen”, die Faszination durch “das Andere”, das verherrlicht oder verteufelt wird – “das Andere” als Trugbild. Das ist so, weil man, um in die Kultur der…