vorheriger
Artikel
nächster
Artikel
Titel: Zwischen Erinnern und Vergessen · von Hans Ulrich Gumbrecht · S. 172 - 177
Titel: Zwischen Erinnern und Vergessen , 1994

Vom Theater der Erinnerung zur Dekonstruktion der Bilder
Hans Ulrich Gumbrecht

Wahrnehmung vs. Erfahrung
oder die schnellen Bilder
und ihre Interpretationsresistenz

Unübersehbarkeit der Körper

(…) Im Unterschied zum Subjekt/Objekt-Paradigma, auf dem als Basis sich das hermeneutische Feld konstituiert hatte, lag die Besonderheit der “Wissenschaften vom Menschen” als Episteme des 19. Jahrhunderts in der Doppelrolle, die dem Menschen als Subjekt und als Objekt der Beobachtung zugewiesen wurde. Diese historische Konfiguration entspricht der Definition des Beobachters zweiter Ordnung, der sich selbst beim Beobachten (als Beobachter erster Ordnung) beobachtet, und in dessen Gesichtsfeld deshalb die blinden Flecken der ersten Beobachter-Ebene treten. Zu ihnen hatte die Ausblendung des menschlichen Körpers als Instrument der Welt-Wahrnehmung und der Welt-Erfahrung gehört. Seit dem frühen 19. Jahrhundert wirkte deshalb die neue Aufmerksamkeit für die Rolle des Körpers als eine problematisierende Interferenz gegenüber dem Prinzip von der “Darstellbarkeit der Welt”, welches die Möglichkeit einer Adäquanz zwischen Welt und Welterfahrung garantiert hatte. Für die Ausbildung der Einsicht, daß die Welt nur durch die Vermittlung und unter den spezifischen Bedingungen der menschlichen Körper wahrgenommen und erfahren werden konnte, gibt es vielfache Anzeichen. Wenn man etwa darauf verzichtet, die Entdeckung der “Geschichtlichkeit der Phänomene” seit dem späten 18. Jahrhundert als Entdeckung einer transzendentalen Wahrheit zu feiern, dann eröffnet sich eine Perspektive, unter der die historische Dimension und ihre narrativen Modelle1 als Raum einer Verarbeitung der Instabilität von Erfahrung in Variabilität von Erfahrung erscheinen. Dazu komplementär wurden gewisse Prinzipien von – bezeichnenderweise: körperbedingter – Dynamik extrapoliert, welche diese beständige Veränderung der Phänomene erklären sollten: Zu ihnen gehörten ein…


Kostenfrei anmelden und weiterlesen:

  • 3 Artikel aus dem Archiv und regelmäßig viele weitere Artikel kostenfrei lesen
  • Den KUNSTFORUM-Newsletter erhalten: Artikelempfehlungen, wöchentlichen Kunstnachrichten, besonderen Angeboten uvm, jederzeit abbestellbar
  • Exklusive Merklisten-Funktion nutzen
  • dauerhaft kostenfrei

von Hans Ulrich Gumbrecht

Weitere Artikel dieses/r Autors*in